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Haus Moriah Josef-Kentenich-Institut JKI-Preis 2011 - Schlussteil - Bericht

Christliches Ideal heute?


Um einen kleinen Einblick  in den Versuch zu vermitteln, das kentenichsche Denken in den Dialog mit einigen tschechischen Pädagogen zu bringen - wählte die Preisträgerin einige Gedanken aus und führte Beispiele aus der tschechischen Literatur an. Sie griff dazu auf drei Stichworte der Arbeit zurück. Dieser Teil ihrer Ausführungen soll hier ausführlicher und weitgehend im Wortlaut dargestellt werden:


„Nur“ Mensch?

Einen Beitrag des schönstattischen Modells ist die klar formulierte Position des Menschen in der Welt. In der Seinsordnung (ordo essendi) ist der Erste und die Basis alles Seienden Gott, der Mensch ist nur personifizierte Abhängigkeit von Gott. Obwohl man zu dieser Erkenntnis schon in der vorchristlichen Zeit gelangt ist, wird sie in der heutigen modernen Gesellschaft für überholt gehalten. Der Mensch versetzt sich in die Rolle des Souveräns, der über alles verfügen darf, und vergisst, dass man in den eigenen Händen nur ein paar Dinge im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten hat.

Die Schönstattpädagogik macht darum mit neuer Dringlichkeit und Aktualität auf den Appell des Christentums aufmerksam, sich klar zu sein über die Stellung und Beziehung des Menschen  zu Gott, gleichzeitig aber in voller Freiheit und Verantwortung die Realität seiner Gröβe und Einzigartigkeit zu leben. Die Berufung „Mensch zu sein“ gewinnt dadurch eine ungeahnte Dimension, weil sie in der Beziehung zum Absoluten wahrgenommen wird. Jenes „nur“ ist nicht mehr ein verachtenswerter Ausdruck der Niedrigkeit des Menschen, sondern der Ausdruck bewussten Gehorsams im Verhältnis zum Schöpfer. Das „nur“ ist Stolz darauf, dass sich Gott den Menschen ausgewählt hat, um in ihm und durch ihn zu wirken.

Bei dieser Grundauffassungen entfällt auch jede(r) autoritäre Position und Einflussnahme  des Erziehers gegenüber seinen anvertrauten Edukanten, denn es geht, so formuliert Radim Palouš „ständig um Beratungsgemeinschaft in gemeinsamer Not.“
(Palouš, Patočka, Persönlichkeit und Kommunikation, Beiträge zur Philosophie der Erziehung, S. 39).

Der Erzieher, der sein Menschsein anerkennt und annimmt, wird nie mehr nur seine eigenen Erziehungsmethoden hervorheben, sondern, wie Patočka schreibt: „in demütigem Gehorsam und hochherziger Berücksichtigung menschlicher Unzulänglichkeit lernen dem zuzuhören, was den Zögling allein ansprechen soll, obwohl nur mit Hilfe eines unvollkomenen Erziehers. Es geht hier nicht um Gehorsam als Passivität, sondern um authentische Teilnahme. Es handelt sich um Gehorsam der Erziehung, bzw. des Erziehenden, um das „Straffen“ dazu, was ohne höheren Beistand unmöglich ist.“
(Palouš, Patočka, Persönlichkeit und Kommunikation, Beiträge zur Philosophie der Erziehung, S. 43),

Auch Milan Machovec (bedeutsamer tschechischer Philosoph und Philologe, 1923-2003) schreibt: „Der Mensch ist angeblich meistens schwach und hilflos. Das Gegenteil ist jedoch wahr: Der Mensch scheint schwach zu sein, wenn er in der misslichen Lage des Hilflosen beheimatet wird. In Wirklichkeit ist es nötig, sich hohe, atemberaubende Ziele zu setzen und dabei die Demut von Gotteskindern zu behalten.“
(Machovec, Milan, Der Sinn der menschlichen Existenz, S. 127).


„Es reicht nicht, nur zu benennen“

Die Phänomene der gesellschaftlichen Realität, die Jiří Pelikán (tschechischer Pädagoge und Psychologe, geboren 1932) in seinen Büchern „Erziehung fürs Leben“ und „Erziehung als theoretisches Problem“ beschrieben hat, kann man als Bestätigung der Diagnose des Menschen sehen, die Josef Kentenich schon vor mehr als 70 Jahren vorgetragen hat (vgl. Vorträge 1931-1951 in den Büchern Ethos und Ideal in der Erziehung – 1931, Grundriss einer neuzeitlichen Pädagogik für den katholischen Erzieher – 1950; Dass neue Menschen werden – 1951).

Wenn man Pelikáns Beobachtungen in fünf Grundkategorien zusammenfasst, gelangt man zur Feststellung, dass sie alle von P. Kentenich in seinem „Pädagogischen System“  integriert sind , mit dem Akzent auf „Ideal-Pädagogik“ und das „Persönliche Ideal“ jedes einzelnen Menschen.

1. Grundkategorie

Jiří Pelikán spricht über erstes  typisches Zeichen der heutigen Zeit: über „beunruhigende Kompliziertheit“, in der man möglichst schnell fertige Lösungen erreichen will und wo der Mensch am meisten geschätzt wird, der um jeden Preis zweckmäßig handelt. Demgegenüber spricht P. Kentenich von  Bewegungspädagogik“. Diese formuliert er als eine Erziehung, die das Individuelle, das Persönliche im Blick behält und den Prozess des Wachsens und der Gestaltung des Menschen von Innen her sieht.

Auf dem Weg zu sich selbst wird klar, dass es die erstrangige Aufgabe ist, die eigene Sendung Schritt für Schritt zu entdecken und zu erfüllen: Der Mensch zu sein, der sich mit dem aktuellen Stand nicht abfindet, sondern der mehr will, der sich nach eigenem Wachstum sehnt, nach Transzendierung seiner selbst, nicht nur durch Steigerung eigener Kompetenzen, sondern nach Transzendenz hin zu Gott, unserer Quelle, der Kraft zur Verwirklichung des Persönlichen Ideals.

2. Grundkategorie

Das Übermaβ von Kontakten in der Gesellschaft, die mir unerschöpfliche Menge an Angeboten macht, wie und mit wem man seine Zeit verbringen kann, führt einen, so Jiří Pelikán, in „paradoxe Einsamkeit“. Man fühlt sich, so Pelikán, wie ein „Staubkörnchen“, denn man kann von den Angeboten nicht einmal einen Bruchteil wahrnehmen.

Jan Keller (tschechischer Soziologe, Publizist und Environmentalist, geb. 1955, - befasst sich mit Rationalität der modernen Gesellschaft) formuliert, dass „einem seine individuelle Kultur zu Gunsten dieses ganzen Organismus weggenommen wird“

Nicht nur die Benennung, sondern auch die Beantwortung dieses Schreies nach tiefen zwischenmenschlichen Beziehungen ist die Antwort, der pädagogische Imperativ, wie ihn J. Kentenich im Leitstern der Bindungspädagogik zum Ausdruck bringt. .

3. Grundkategorie

In einem weiteren Punkt beschwert sich Jiří Pelikán über junge Leute, denen es an Schönheitssinn und Achtung vor Traditionen mangelt. Wenn man an religiöse Tradition denkt, muss man zugeben, dass sie von der heutigen Generation sehr oft missachtet wird, aber meistens nicht wegen Unglaubwürdigkeit ihrer Ideale, sondern wegen der Unglaubwürdigkeit des Lebens von Menschen in ihrer Umgebung…

Die Bündnispädagogik will in Verbindung mit der weiteren Pädagogik Heilmittel sein, Antwort auf die Sehnsucht nach zwischenmenschlichem Kontakt und Dialog, nach dem Liebesbündnis mit dem persönlichen liebenden Gott und mit Maria. Ziel ist ein harmonisches Gleichgewicht zwischen der Verwendung von menschlichen Kräften und Vertrauen in die Möglichkeiten Gottes.

4. Grundkategorie

Weiter ist der Mensch nach Jiří Pelikán das „sich nach Begegnung sehnende Wesen“, das einen anderen Menschen braucht (Pelikán, J. Erziehung fürs Leben, S. 11).

Jeder sucht jemanden, der seine Probleme ernst nimmt und der bereit ist, ihm mit Geduld und Verständnis zuzuhören. Schon Ernest Hemingway hat gesagt: „Man braucht 2 Jahre, um sprechen zu lernen und 50 Jahre um schweigen zu lernen“ (Hemingway in Mühs, Stimmen der Stille, Zitat Nr. 247).

P. Kentenich hat gerade in seiner Vertrauenspädagogik auf diese menschliche Neigung zum Sprechen und Ratgeben, den Mangel an Fähigkeit zuzuhören und die innere Welt des Mitmenschen schweigend zu teilen, aufmerksam gemacht. Durch Anwendung der Vertrauenspädagogik ist dem Mitmenschen angeboten sich zu öffnen, auch die Armseligkeit seiner inneren Ratlosigkeit aufzudecken, ohne Angst vor Verachtung und Ausnutzung haben zu müssen.

5. Grundkategorie

Der letzte Punkt, der für den heutigen Menschen typisch ist, ist nach Jiří Pelikán ist Desintegration der Persönlichkeit infolge der unangemessenen Anforderungen der Gesellschaft in Bezug auf die Möglichkeiten und Sehnsüchte konkreter Menschen

Die kentenichsche Idealpädagogik bietet den Weg zur Befreiung von der Versklavung durch die Anforderungen der modernen Gesellschaft, die so oft die Freiheit proklamiert, die aber in der Wirklichkeit die Handfessel legt, in der man zum Durchschnitt degradiert wird. Dank dem Persönlichen Ideal wird klar, dass man nicht ideal/vollkommen sein muss, sondern dass man sich bemühen soll, die eigene Berufung voll zu leben, nicht nur aus eigenen Kräften, sondern auch aus der Gnade Gottes.

Wenn sich Jiří Pelikán an uns mit der Frage wendet, „ob wir unsere Zeit leben oder ob die Zeit uns lebt“ (Pelikán, J. Erziehung fürs Leben, S. 7), wird für uns die Entscheidung für das Persönliche Ideal der klare Schritt zum Ergreifen der Zügel des eigenen Lebens auf unsere ureigenste Art und Weise. Es ist ein verantwortungsvolles Ja zur Gegenwart und die Bereitwilligkeit eben heute zu zeigen, dass wir Mitschöpfer jedes Augenblickes sind.


Verloren in Einzelheiten

Heutige Pädagogen, treu den modernen Erziehungstheorien, und im Bemühen, die Kinder auf das praktische Leben vorzubereiten, sprechen über unentbehrliche „Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Stellungen und Werte, die für die persönliche Entwicklung und Durchsetzung jedes Mitgliedes der Gesellschaft nötig sind.“ (vgl. Von Schlüsselkompetenzen zum Curriculum Lernkonzepte für eine zukunftsfähige Schuleg der Bildungskommision der Heinrich-Böll-Stiftung)

Bei jeder Tätigkeit sind sie verpflichtet, an die Entwicklung aller Kompetenzen zu denken:  Sozialkompetenz, Methodenkompetenz, Selbstkompetenz, Handlungskompetenz, Medienkompetenz.

Radim Palouš hat jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass die Erziehung nicht nur Vorbereitung auf besondere Tüchtigkeit bei der Bewältigung des Alltags sein soll, sondern dass sie das Versinken in den alltäglichen Besorgungen verhindern soll. Die Erziehung soll über den Horizont des Erwarteten, Sichtbaren führen und sich sogar nicht einmal an die Grenzen des Vorstellbaren binden. Sie soll Gott und Seiner Wirkung Raum geben, sie soll „Befreiung fürs Hören und die Erhörung dessen sein, was dem Menschen mit seinen Begabungen und Sehnsüchten eigen ist. Der Pädagoge sollte nur anbauen und bewachen, denn er weiß, dass er aus seiner eigenen Macht und Kraft nicht fähig ist, etwas zu garantieren. Wenn die Sache der Erziehung gut gelingt, dann ist es dank einer anderen Macht, dank Gott“ (Palouš Radim, Zeit der Erziehung, S. 67).

An dieser Aussage sieht man, dass Radim Palouš einen ähnlichen Ausgangspunkt wie Josef Kentenich hat. P. Kentenich hat diese „Krebsschäden“ der heutigen Pädagogik noch schärfer formuliert: „Die Menschen glauben an sich und ihre Methode, aber nicht genügend an das Wehen des Heiligen Geistes.“ (Kentenich, J. Grundriβ, S. 235).

Nur wenn man sein eigenes Leben im Dialog mit dem Heiligem Geist auf das Ideal richtet, hat man die Hoffnung, dass man sich nicht in Einzelheiten verliert, sondern das eigene Leben leben kann.

Nach Jaro Křivohlavý (berühmter tschechischer Psychologe und Schriftsteller, geb. 1925) ist das charakteristische Zeichen des Menschen „Orientierung (Ausrichten) ans Ziel“.

Damit formuliert er wohl das, was J. Kentenich im Leitstern der „Idealpädagogik“ sieht.
 Sie kann zur Hilfe gegen das, wie Křivohlavý schreibt: „Vergessen der Grundausrichtung unseres Lebens“ werden. So vermeidet man „die Gefahr, dass sich unser konkreter Sinn in der Mitte der kleinen Aktivitäten verliert“ (Křivohlavý, J. Hoffnung teilen, S. 6).

Jaro Křivohlavý benennt den Glauben an erreichbare Ziele mit Hilfe der Bemühung im Alltag als „horizontale Hoffnung“, die  lebenslange Ausrichtung des Menschen auf höchste Werte des Lebens und den Sinn als „vertikale Hoffnung“. Übertrage ich diesen Gedanken auf das Persönliche Ideal von P. Josef Kentenich, so ist das Persönliche Ideal dann der Schnittpunkt von beiden Achsen. Denn bewegte man sich nur im horizontalen Gebiet, befreite sich nie vom Absichern dessen, was man nie absichern kann, nämlich von der Jagd nach Einzelheiten, verfehlte man den Sinn. Jedoch die Unterschätzung der Bedeutung von „alltäglichen“ Dingen dieser Welt mit einseitig unverwandtem Blick hinauf auf das „Übernatürliche“ führe den Menschen zum „Unnatürlichen“.

Die Ausrichtung zum Ideal sollte darum nicht die Verschiebung des Punktes in Richtung einer der Achsen, sondern die Verschiebung der ganzen Horizontalachse in Richtung der vertikalen Achse „Himmelwärts“ sein. Das Leben des Persönlichen Ideals wird dann nicht zur Flucht vor dem Alltag, sondern es ermöglicht und schenkt seine Heiligung im Sinne der „Werktagsheiligkeit“.


 

 

 
 

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