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CS36 CAUSA SECUNDA Text 36
Aus: Das Katholische Menschenbild 1946

Der Mensch ist ein endlos entwicklungsfähiges Wesen. Er kann werden ein Heiliger oder ein Verbrecher und Teufel. Beide Möglichkeiten sind in ihm grundgelegt. Um das eine oder das andere zu werden, braucht er sich nur der Gnade auszuliefern oder sich ihr zu versagen. Vor allem muß er Sorge tragen, daß er sich nicht an die Dinge der Welt versklavt und verliert. All diese Wirklichkeiten, als da sind Menschen, Blumen, Sterne, Besitztum usw darf er gern haben. Er darf aber bei diesen Zwischengliedern und Zwischenwerten nicht stehen bleiben, muß vielmehr auf ihnen als Brücke und Treppe emporsteigen zum Endwert, d.h. zu Gott. Die Reizfunktion der Dinge muß immer ausmünden in die Weiterleitungsfunktion. Damit das geschieht, sorgt Gott für das Hinzukommen der Enttäuschungsfunktion. Als das israelitische Volk das goldene Kalb anbetete, mußte Moses es zerschlagen. So müssen auch wir heute Gott zu verstehen suchen. Weil die Menschen die Zwischenwerte vergötzen, muß Gott sie ihnen nehmen, damit sie sich dem Endwert wieder zuwenden. Aufgabe der Menschen muß es sein, auf Gottes weise Führung einzugehen. -(S.12)-

Hinter allem steht letzten Endes Gott. Auf ihn ist alles hin geordnet. Alles stammt von ihm, und alles soll zu ihm hinführen. Die Dinge sind für den Menschen da, und der Mensch ist für Gott da. Die Dinge soll der Mensch benutzen, um an ihrer Hand zu Gott emporzusteigen. Die Reizfunktion der Dinge muß immer wieder ausmünden in die Weiterleitungsfunktion.

Der Blick auf die reiche, hierarchisch und homogen gegliederte Wirklichkeit, in welcher der katholische Mensch lebt und leben soll, mag ein wenig verständlich machen, warum im eigenen Lager oft so viel Wirrwarr, und Uneinigkeit herrscht. Man hat keine einheitliche Denkform und Denkweise mehr und daher auch keine einheitlich geschlossenen Denkinhalte. Man orientiert sich nicht mehr an der objektiven Seinsordnung. Man sieht Natur und Gnade nicht mehr als Einheit. Man sieht zu einseitig nur auf die Erstursache, will nur an ihr hängen und übersieht die Zweitursachen. Was wir heute vor allem brauchen, ist eine einheitlich geschlossene katholische Denkform. Natur und Gnade, Sein und Sollen müssen miteinander in Verbindung gebracht werden. Derjenige, der die Welt von Natur und Gnade, von Glauben und Wissen, der Sein und Sollen in einem großen System zur Einheit geführt hat, ist vor allem Thomas von Aquin. An ihm müssen wir uns heute orientieren, bei ihm in die Schule gehen. Wir müssen die ganze Seinsordnung sehen und im Leben beachten. Unser Herz darf nicht nur am Endwert hängen, es muß auch die Zwischenwerte beachten und die natürlichen Eigenwerte anerkennen. Das große Gesetz der operatio per causas secundas, an das Gott sich bei seiner Weltregierung hält, muß auch von uns beachtet werden. Auf dem Weg über die Zweitursachen müssen auch wir zu Gott emporsteigen. Andernfalls besteht die Gefahr, daß wir Gott entweder entmenschlichen oder vermenschlichen. Soll alle gegenseitige Verketzerung und Zerfleischung aufhören, dürfen wir nicht mehr um uns selbst kreisen, dürfen nicht Lieblingsgedanken, Lieblingswünsche und Lieblingsgewohnheiten des eigenen Herzens verabsolutieren, müssen vielmehr Gott in den Mittelpunkt unseres Lebens stellen und die von ihm festgelegte Seinsordnung als alleinige Norm für unser Tun und Lassen angeben. -(S.14f)-

Hier gehen auch abendländische und morgenländische Denkweise auseinander. In der Ostkirche hat man sich bisher um die geistigen Strömungen außerhalb der Kirche, d.h. um die Natur wenig oder gar nicht gekümmert. Die Religion wirkt sich aus in der Liturgie, an der Gestaltung von Welt und Leben ist man wenig interessiert. Abendländisches Denken, wie es vor allem in Thomas von Aquin seinen Höhepunkt erreicht, sieht auch hinter der natürlichen Schöpfung Gott, Gottes Willen und Auftrag. Schöpfergott und Dreifaltiger Gott ist ein und derselbe. Auch in der natürlichen Welt und durch sie ist Gott ständig wirksam und spricht zu uns. Wir müssen sie als Zweitursache anerkennen und ihr eine gewisse Eigengesetzlichkeit und Eigenwertigkeit, wenn auch nicht Endgesetzlichkeit und Endwertigkeit, zusprechen und zuerkennen. Von hier aus wird die große Sendung und Aufgabe, die der Pflege des thomistischen Denkens für die heutige und kommende Zeit zukommt, wieder recht sichtbar. -(S. 21)-

maschinenschriftlich, 27 Seiten A4, S.12; S.14f; S.21 *

 im Buchhandel erschienen:
Josef Kentenich, Das katholische Menschenbild, Schönstatt-Verlag: Vallendar, 1997, ISBN 978-3-920849-84-3 (Wachsmatrizenvervielfältigung mit 38 S. DIN A 4)

zum Online-Angebot des Verlags

 

Eingestellt von
O B
KM
Eingestellt am: 05.10.2010 10:12
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