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CS35 CAUSA SECUNDA Text 35
Aus: Das Katholische Menschenbild 1946

Der Mensch ist ein endlos entwicklungsfähiges Wesen. Zunächst das Tier im Menschen. Bestialität und Brutalität haben wir zur Genüge erlebt. Wir sehen, wozu der Mensch fähig ist. Auf der anderen Seite fanden wir eine vollendete seelische und körperliche Unberührtheit, die alles als Quadersteine auffaßte, auf denen man zu Gott emporstieg. In jedem von uns steckt ein Verbrecher, ein Teufel und ein Heiliger. Wir sind endlos entwicklungsfähig. Was tun? Wir brauchen uns nur der Gnade ganz auszuliefern und wirklichkeitsgeladen zu sein. Sterne, Pflanzen, Flüsse und Bäche, Tiere und Menschen sind Wirklichkeiten. Daran dürfen wir uns erfreuen. Ich darf andere Menschen gern haben, mich freuen an Essen und Trinken (vgl Hochzeit zu Kana). Aber alle diese Dinge sind Zwischenwerte. Endstation ist der lebendige Gott. Die Zwischendinge darf ich nicht anbeten, es hat nur einen Reiz und muß zur Weiterleitungsfunktion werden. Alles muß mich zu Gott führen. Wenn wir dieses Gesetz doch im praktischen Leben anwenden wollten! Weil die Reizfunktion nicht zur Weiterleitungsfunktion wird, darum müssen die Dinge uns enttäuschen. St. Augustinus hat alle Dinge gefragt: Bist du Gott?, d.h. bist du Endglied, die Fülle der Wirklichkeit? Und alles antwortete: Ich bin es nicht, superius ascende! Steige höher! Wir mögen Geschöpfe lieben; aber wir dürfen uns nicht daran versklaven. Katholische Eheleute müssen sich lieben, aber vergötzen dürfen sie sich nicht. Nach dem Gesetz der Weiterleitung müssen sie sich zu Gott führen. Wer den andern gern hat in Gott - das ist die Liebe, die hinlaufende Linie - der hat auch Ehrfurcht vor dem andern - das ist die rücklaufende Linie. Eine Liebe, der die Ehrfurcht mangelt, wird morgen schal, wird keine erquickende Liebe mehr sein. Die Weiterleitungsfunktion muß weiter funktionieren. Warum sorgt Gott für die Enttäuschung? Wir erleben Enttäuschung an den Menschen, an uns selber und an den Dingen. Warum hat Gott uns alles genommen? Als Moses sah, wie die Menschen das goldene Kalb anbeteten, mußte er das goldene Kalb zerschmettern. So müssen wir auch Gott heute verstehen. Er muß uns aus Liebe die Dinge nehmen. Die Dinge sind Zwischenwerte, aber keine Endwerte. Wie mancher versteht da Gott nicht mehr und kehrt Gott den Rücken, wenn er so handelt. -(S.37f)-

Der wirklichkeitsgeladene Mensch lebt auch in einer hierarchisch gegliederten Wirklichkeit. Sie ist auch homogen gegliedert und gestaltet; weil Gott hinter allem steht, darum soll sie auch in ihrer Art wirksam sein und helfen, den Menschen zu Gott zu führen. Alle Glieder sind homogen gegliedert nach dem Gesetze: Die Dinge sind für den Menschen und der Mensch ist für Gott da. Alles muß den Menschen ergreifen, alles Weiterleitungsfunktion sein. Alles soll hinein in das Herz des allmächtigen Gottes. Dei sum. Wir gehören Gott, alles von Gott, alles zu Gott, Gott an der Spitze der Wahrheitsleiter. Gott muß mehr und mehr das Maß der Dinge werden.

Das Bild des katholischen Menschen entschleiert sich uns immer mehr. Wir dürfen gegenüberstellen den wirklichkeitsfremden und wirklichkeitsgeladenen Menschen. Es ist eine überaus reiche Wirklichkeit, eine hierarchisch und homogen gegliederte Wirklichkeit. Ob wir wohl spüren, von welch tiefer Sicherheit im geistigen Wirrwarr sie getragen ist?

Es ist so: Alles Sein bestimmt das Sollen. Ein Stück Unruhe tragen wir deshalb mit uns, weil wir keine klare Denkform mehr haben und darum mangeln auch die tieferen geschlossenen Denkinhalte. Ich glaube nicht, daß das Heil für unser Volk darin besteht, daß wir ins Altertum zurückgehen. Unser Denken muß Erst- und Zweitursache kennen. Wenn wir diese nicht anerkennen, werden wir uns mit den modernen Menschen nicht auseinandersetzen können. Wir müssen uns heute in acht nehmen, daß wir nicht zu übernatürlich werden. Wir dürfen auf der einen Seite nicht zu übernatürlich werden, dann werden wir morgen zu unnatürlich. Die moderne Kultur verlangt eine Anerkennung von Eigenwerten. Beides will immer harmonisch miteinander verbunden sein. Natur und Gnade. Wenn wir zurückschauen, dann muß unser Verstand in eine tiefe Ruhe gebettet sein, weil er spürt, nirgendwo einer Wirklichkeit Abbruch zu tun. Wir anerkennen den Schutzengel, die Gottesmutter, tun etwas aus Liebe zur Gottesmutter. Marienliebe ist nur ein herzhaftes Ja-Sagen zur objektiven Stellung der Gottesmutter im Heilsplane. Wenn man uns nachweist, daß alles in der objektiven Seinsordnung gegründet, dann ist ihre objektive Norm für unsere (uns?) subjektive Form.

Spüren wir, was für eine Einheit im Denken das gibt? Ist es nicht ein Jammer, daß wir uns heute zerfleischen, weil wir um uns selbst kreisen. Wir müssen immer um Gott kreisen. Er ist der große Gott der Ordnung, und darum hat er als Abbilder von sich aus Wesen erschaffen, die er regiert nach dem großen Weltregierungsgesetz. Ich darf mich an Vater und Mutter binden. Gott will immer wirken durch Zweitursachen und überträgt auf uns seine Rechte und seine Eigenschaften. So überträgt er seine Erziehertätigkeit auf mich im Interesse des Kindes. Er hat etwas von seinen Eigenschaften und Rechten auf mich übertragen. Das Gesetz der Übertragung müssen wir zum Gesetz der Weiter- und Tieferleitung machen. So läßt sich auch das vierte Gebot erklären. Was besagt das vierte Gebot? Gott läßt meine Eltern teilnehmen an seinen Eigenschaften. Darum muß auch für das Kind das Gesetz der organischen Obertragung gelten. Das Kind überträgt das, was es Gott geben muß, auf die Eltern. Das gilt bei den Schutzengeln, bei der Feindesliebe usw. Wir müssen ernst machen mit den Zwischenwerten.

-(S.51-53)-

Die Gnade als die vierte Seinsstufe ist die Teilnahme an der göttlichen Natur. Es gibt auch Gnade als Akt. Diese Gnade setzt die Natur voraus, d.h. das Wesen der Gnade, der heiligmachenden und (der) habituellen Gnade, besteht darin, daß sie verbunden ist mit der Natur. Die Gnade hängt an der Natur, ist der Natur angeeint. Die Pädagogen unterscheiden dabei folgendes:

  • 1. Die Natur ist der Träger der Gnade. Die Gnade will von der Natur in einem besonderen Lichte gesehen werden.
  • 2. Die Natur ist das Arbeits- und Kampffeld der Gnade ; denn die Gnade hat eine Aufgabe der Natur, dem Tier- und dem Mineralreich im Menschen gegenüber. Gnade ist nicht Unwert.
  • 3. Die Natur mit ihren Anlagen ist sogar die Norm für die Gnade. Sie bestimmt mit das Ziel des Menschen, die Art und Anregungen der Gnade.

Auf diesem Gebiet unterscheiden sich die geistigen Strömungen,, die in mir lebendig sind. Darauf beruht die Lehre vom Persönlichen Ideal. Wer das Persönliche Ideal als objektive Norm sehen will, muß diese drei Punkte anerkennen. Letzteres ist leicht verständlich; denn der lebendige Gott ist die Ursache der Gnade u n d der Natur.

Nach protestantischer Auffassung ist das die größte Häresie, weil die Natur durch die Erbsünde bis ins Mark total krank sei. Obwohl durch die Erbsünde auch die Natur krank wurde, ist doch noch etwas Gutes im Menschen, das zeigt die ganze katholische Denkweise. Die Gnade setzt die Natur voraus. Spüren wir, woher es kommt, daß die Frauenseele durch die Gnade anders angeregt wird als die Mannesseele? Weil die Frauenseele anders geartet ist, anders reagiert, paßt sich die Gnade dieser Natur an.

Hier beginnt an sich wohl die große Aufgabe des thomistischen Denkens zu funktionieren. Das Morgenland (Griechenland, Russland) sind in der Auffassung total anders eingestellt als wir. Sie haben sich nicht auseinandergesetzt mit den geistigen Strömungen außerhalb des Christentums. Der Katholik setzt sich mit allen Strömungen auseinander.

Diese Denkweise erkennt eine Zweitursache an. Der Schöpfergott ist Vatergott und Gnadengott. Darum auch die Auseinandersetzungen mit den Strömungen der heutigen Zeit! Wer die Gnade allein sieht, der will sich nicht mit den geistigen Strömungen auseinandersetzen. Wer eine Barriere zwischen Natur und Gnade aufziehen will, der will fliehen vor dem Herrgott. Das ist das Ghetto, in das sich viele verstricken. Darum ist es wichtig, auch eine gewisse Eigengesetzlichkeit der Natur anzuerkennen. Die Teilnahme an der göttlichen Natur schenkt der Natur des Menschen eine Seins- und Standeserhöhung. Nehmen wir sprödes Eisen. Das spröde Eisen ist unsere Natur. Dieses spröde Eisen wird in das Feuer geworfen. Das versinnbildlicht die Teilnahme an der göttlichen Natur, an der Gnade. Wenn meine Natur mit der Gnade in Verbindung gebracht wird, haben wir feuriges Eisen. Meine Natur ist vergöttlicht, die Natur als solche ist über sich selbst erhoben.

Ein anderes Bild: Der Schwamm ist ganz porös. Er liegt auf dem Grunde des Meeres. Das ist ein wässeriger Schwamm, daß wir meinen, wir hätten anderes Wasser. So ist es auch mit meiner Natur. Sie wird über sich selbst erhoben. Wenn ich das fertig bringe, im Lichte des Glaubens das Gesetz der Durchsichtigmachung des Geschöpflichen in mich aufzunehmen, dann würde ich durch den menschlichen Körper hindurchsehen, dann würde meine Beziehung zu den Menschen anders werden. Wie schön ist es, so über sich selbst erhabene Natur zu sein. Wenn Gott die Schönheit ist und ich Teilnehmer an der innertrinitarischen Natur, dann muß diese Teilnahme am göttlichen Leben auch Teilnahme an der göttlichen Schönheit sein. Also gibt es nichts Schöneres als eine begnadete Seele. Der hl. Ambrosius sagt: Wenn man eine Seele im Zustande der heiligmachenden Gnade schauen wollte, würde man von dieser Schönheit so ergriffen, daß man 100 Jahre nicht mehr essen und trinken möchte. Darum würden die Reize, die von den Geschöpfen ausgehen, keine solche Wirkung ausüben; das Gesetz der Durchsichtigmachung funktionierte, und wie unbefangen könnten wir einander gegenüberstehen! Wenn wir doch mehr Kinder des Glaubens wären und daraus lebten! -(S.92-95)-

Wir wollen das anerkennen, die eigengesetzliche Natur will, soll verknüpft werden mit der Gnade. Zwei Methoden kann man anwenden:

  • a) Ich kann nur rein ethische Motive geben,
  • b) nur mit übernatürlichen Motiven auskommen.

Das wird in beiden Fällen kein gesundes Menschentum. Die Liebe will dirigiert werden von Gott. DieRichtung für die wahre Gottesliebe wird für mich gegeben durch die objektive natürliche Seinsordnung. Darum will ich demütig, schicklich sein, das macht Gott Freude, weil es in meiner Seinsschicht begründet ist. Diese Überlegungen sind von großer Bedeutung für das ganze Erziehungswesen. Ein edles Menschentum will Erkenntnisquelle sein für die Liebe. Auch die göttliche Gnade zerstört nicht die ethische Motivation, sondern hilft, daß sie noch tiefer und edler wird und gibt meinem Leben auch eine große Kraftquelle.

Mit der Ethik allein geht es nicht; es muß hinzukommen die eingegossene übernatürliche Gottesliebe.

Das war der naturerhöhte Mensch, der allseitig nach Naturvollendung strebt, weil er katholisch und religiös ist, muß die Natur durch die Gnade vollendet werden. Die Gnade soll jeder Naturvollendung neue Treibkraft geben.

Ecce homo, siehe hier das Ideal des naturerhöhten Menschen. Wir müssen festhalten: Die Gnade will die gesunde Natur nicht ändern, sondern entfalten. Die Gnadenordnung will das Natürliche in uns nicht nur erheben, sondern neue Triebkraft wecken und geben, d.h.

  • 1. Der Katholik darf und muß streben nach allseitiger Naturvollendung. Darum: Weil katholisch, bejahen wir jede Naturvollendung.
  • 2. Auch in der Motivation will der übernatürliche Mensch die Natur nicht erdrosseln. Es bleiben die eigengesetzlichen ethischen Motive unter dem Gesetz der Gnade bestehen.

Natur und Obernatur wollen miteinander verbunden sein und bleiben. Für uns Katholiken ist es empfehlenswert, überall Anregungen zu holen, wo wir sie finden.

1. Heute ist die Erziehungslage verwildert, weil nicht wenige von uns in die geistige Strömung der heutigen Zeit hingezogen wurden. Darum ist vieles für uns Neuland, das Material und die Akzentverschiebung. Wir gehen darum wieder bei Förster in die Schule und lesen wieder bei Heinen. Doch das ist nicht das Letzte.

2. Das große Problem von heute ist: Wie machen wir unsere heutige Jugend wieder empfänglich für das Religiöse! Zunächst müssen wir sie aufmerksam machen auf die Gnade, das gute Beispiel, Gebet und Opfer.

Was müssen wir tun? Grundsätzlich dafür sorgen, daß die Ideologien überwunden werden, d.h. weite Strecken ausgesprochen ethische Motivation geben, zeigen, daß das Ideal des kraftvollen Menschen beim Jungen ist, das Tier zu meistern, und daß das eine größere Kraftanstrengung ist, wenn ich die Ichsucht in mir überwinde. Das ist eine größere Ritterlichkeit.

Ähnliches gilt beim Mädchen. Es möchte immer auf Schönheit ausgehen, und ich muß ihnen zeigen, worin die wahre Schönheit besteht, im Rein-,Reich- und Edelsein. Wir dürfen nicht übersehen, daß wir als Katholiken die ethische Motivation nicht trennen dürfen von dem Übernatürlichen, von der Gnade. Noch eine Gefahr besteht: Wir dürfen nicht zu lange bei der Ethik stehen bleiben. Wir müssen uns gegenseitig befruchten und ergänzen.

So sieht grundsätzlich das Ideal des natürlichen Menschen aus. Grundsätzlich bejaht er jede Naturvollendung. -(S.99-101)-

vervielfältigt/Wachs?, 121 Seiten A5, S.37f; S.51-53; S. 92-95; S.99-101 *

 im Buchhandel erschienen:
Josef Kentenich, Das katholische Menschenbild, Schönstatt-Verlag: Vallendar, 1997, ISBN 978-3-920849-84-3 (Wachsmatrizenvervielfältigung mit 38 S. DIN A 4)

zum Online-Angebot des Verlags

 

Eingestellt von
O B
KM
Eingestellt am: 05.10.2010 10:12
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