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EK2004-52 - Kirche am neuesten Zeitenufer
Aus: J. Kentenich, Brief-Studie an Joseph Schmitz, 1952.

P. Lombardi spricht in seinen Vorträgen und Schriften gern von einer „neuen Welt“. Auch dem Hl. Vater ist dieser Ausdruck nicht fremd. Wir sagen dafür: „Das neue Ufer“. Dieses Ufer wird wesentlich durch Zeitströmungen mitbestimmt. Die Kirche lebt und wirkt ja nicht im luftleeren Raum. Sie wird von lebendigen Menschen getragen und trägt sie. Und diese werden von der Zeit mitgeformt und haben die Sendung, sie zu formen. Die kommende Zeit hat ein anderes Gesicht als die alte. Sie wird sich wesentlich vom Altertume, vom Mittelalter und der Neuzeit unterscheiden. Es ist eben die neueste Zeit, die sich als eine große, geschlossene Epoche von der Neuzeit lösen und ein originelles, eigenständiges Gebilde darstellen möchte. Ihr Charakteristikum wird das Verhältnis der Menschen zueinander sein.

Bald gibt es keine nennenswerten Entfernungen mehr. Dafür sorgen die neuesten Erfindungen und Verkehrsmittel. Deswegen wird die Einwirkung von Mensch zu Mensch sich anders gestalten als bisher. Zum Unterschied von früher tritt die Masse und Vermassung stärker in Erscheinung und gibt Individuum, Gesellschaft und Gemeinschaft ein stark verwandeltes Gesicht. Die Eigenart unserer Familie besteht darin, dass sie in Organisation und Leben mit einer gewissen Einseitigkeit in die so geartete Zukunft hineinweist, sich von ihr inspirieren lässt und sie in kühnem Griff jetzt schon vorwegnimmt und zu formen und zu gestalten sich bemüht.

Menschen, die nur in Vergangenheit und Gegenwart leben, die nur das alte Ufer kennen, die ausschließlich konservativ eingestellt sind, werden sich deswegen mit der Schönstätter Zukunftsvision und den Mitteln und Wegen zu deren Verwirklichung nur schwerlich auseinanderzusetzen imstande sein. Der politische Kollektivismus jeglicher Art und Färbung rühmt sich, den Zukunftszustand der Welt richtig zu sehen und zu ahnen. Er weist deswegen mit allen Fingern in die Zukunft, er löst sich und seine Gefolgschaft mit einem gewaltigen Ruck aus Vergangenheit und Gegenwart; er sieht seine Größe und sein Verdienst darin, den nach seiner Auffassung entwicklungsgeschichtlich absolut notwendig bedingten Ablösungsprozess durch revolutionäre Machenschaften zu beschleunigen. Darum das starke Drängen, die Masse, das Kollektiv zur Herrschaft zu bringen und Elite-Persönlichkeiten und Elite-Gliederungen zur Kapitulation zu zwingen. Niemand darf heute auffallen, darf um Kopfeshöhe über die Masse hinausragen, andernfalls hat er sich bereits selbst gerichtet und muss sich in die Masse zurückdrängen lassen.

Unser Denken und Wollen darf und will die Fühlung mit dem verflossenen Geschichtsstrom niemals abbrechen. Das ist der eine große Unterschied zwischen den modernen kollektivistischen Bestrebungen und uns. Der zweite Unterschied ist schwerer zu erfassen. Auch wir sehen die künftige Entwicklung der Menschheit klar, glauben auch Einblick zu haben in das Endstadium der Entwicklung. Weil Zeitenstimmen für uns Gottesstimmen sind, Zeitenaufgaben als Gottes Wünsche vor uns stehen, antworten wir auf die Zukunftsvision des Kollektivismus mit einem wesentlich anders gearteten Ideal. Wir sprechen von einer „vollkommenen Gemeinschaft auf Grund vollkommener Persön-lichkeiten" und möchten beides getragen, bestimmt und durchpulst wissen von der elementaren „Grundkraft der Liebe“. Damit bewegen wir uns auf einem Boden, der uns gut bekannt ist, auf dem wir uns heimisch wissen. Es erübrigt sich deshalb, hier länger stehen zu bleiben. Nur eines sei hervorgehoben: die ungeheure Größe, Wucht und Schwierigkeit der so gesehenen und gezeichneten Aufgabe. ...

Weil wir die Zukunft von Welt und Kirche so stark und ständig im Visier haben ohne allerdings ideen- und lebensmäßig die Fühlung mit Vergangenheit und Gegenwart abzubrechen ist es leicht verständlich, dass wir mit solchen kirchlichen Kreisen in Kollision geraten, die zu einseitig retrospektiv orientiert sind, die nur oder fast nur am Vergangenen hängen und nicht fähig sind, das neue Welt- , Gesellschafts , Kirchen und Menschenbild in ihren Gesichts- und Interessenkreis aufzunehmen. Das dadurch bedingte mehrfache Spannungsverhältnis zu den beiden Kreisen zu den kirchlichen und außerkirchlichen hat sich bisher als wirksames und schöpferisches Prinzip ausgewiesen. Möge es immer so bleiben!

Aus:
Peter Wolf (Hrsg.)
Erneuerte Kirche in der Sicht Josef Kentenichs
Ausgewählte Texte
Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt
www.patris-verlag.de

 

Eingestellt von
O B
KM
Eingestellt am: 20.11.2009 22:26
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