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JoBr52-06_019-026
Einleitung

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EINLEITUNG

Das originelle Liebesbündnis zwischen der Dreimal Wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt und Schönstatt kennt eine erstaunlich reiche Gnaden- und Lebensfülle, die nicht leicht ausgeschöpft wird. Es kann und soll nicht unsere Absicht sein, seine Schleusen weit zu öffnen, um den angestauten Gottessegen sich in seiner Ganzheit über das Land unserer Seele - über Verstand, Wille und Herz - ergießen und ausgießen zu lassen, oder um seinen Lebenswert erschöpfend darzustellen. Dafür reicht die Zeit nicht aus. Vermutlich fehlt im Augenblick auch das Interesse. Kopf und Herz beschäftigen sich angelegentlichst mit den Fragen, die neuerdings aufgeworfen worden sind, die eine Klärung und Erklärung erheischen, um eine Neuentscheidung zu erleichtern und vorzubereiten.

Bisher hat unsere Studie in Auswahl von Stoff und Ausdrucksweise sorgfältig darauf Rücksicht genommen. Sie hat sich nicht einmal gescheut, alte, eingebürgerte und vertraute Formulierungen durch neue zu ersetzen. Um gemüthaft wohlwollend aufgenommen und geistig schnell verstanden und verarbeitet zu werden, hat sie sich sorgsam an das Lebensgefühl angepaßt, das nachweisbar die Diskussion wesentlich mitveranlaßt und mitgeprägt hat und ständig in Fluß hält. So verlangt es das Gesetz der Interessenperspektive oder der originellen und individuellen Wertempfänglichkeit(1), das die Scholastik in die Form gegossen hat: Quidquid recipitur ad modum recipientis recipitur(2).

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Da es sich in der Hauptsache um Festlegung und Abgrenzung der Machtordnung handelt, um Grenzbereinigungen der Machtbefugnisse zwischen Hierarchie und Bewegung, zwischen Präsidium(3) und Zentrale(4) und zwischen den Verbänden(5) untereinander, hat unser altes Baugesetz(6) sich eine Umprägung gefallen lassen müssen, die das Verhältnis zwischen juristisch gesicherter Macht- und praktischer Lebensfülle genauer bestimmt. Wir haben deshalb von »sinngemäß starker organisatorisch-juristischer Machteinschränkung, verbunden mit außergewöhnlich reicher lebensmäßiger Machtfülle(7)«, gesprochen. Es ist - wenigstens dem Wortlaute nach - nicht mehr die Rede von Freiheit, nicht mehr von Bindung und Geistpflege in ihrem Verhältnis zueinander, sondern lediglich von juristischer und lebensmäßiger Machtfülle.

Der erste Hauptsatz, den wir aus der Familiengeschichte herausgelesen haben, nimmt in ähnlicher Weise auf dasselbe Lebensgefühl Rücksicht. Er besagt: »Verbinde so Form und Geist miteinander, daß Geist und Leben stets die alles beherrschende Großmacht bleiben(8)!«

Nach derselben Richtung zielt der zweite Hauptsatz, der sich mit Geist- und Lebensfülle auseinandersetzt /

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und die Quelle angibt, aus der sie schöpft: »Willst du die historisch gewordene Geist- und Lebensfülle bewahren und vermehren, so lasse die Treue zum Liebesbündnis mit der Dreimal Wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt stets deine Hauptsorge und dein Hauptanliegen sein(9)!«

Das Liebesbündnis selbst haben wir sodann in Zusammenhang mit Fragen der christlicherr Existenz gebracht(10), also mit Problemen, die augenblicklich direkt oder indirekt allerorten auf den Fingernägeln brennen. Die christliche Existenz ist durch verheerende Wirren des Zeitgeistes vielfältig bedroht. Wir wissen, wie das Liebesbündnis darauf antwortet.

Damit ist seine Bedeutung aber noch nicht erschöpft. Oben war die Rede von der Schönstätter Existenz, ohne daß wir auf Einzelheiten eingegangen sind(11). Hier ist der Platz, das Fehlende nachzuholen und den Zusammenhang zwischen Liebesbündnis und Schönstätter Existenz herzustellen.

Was wir von Gefährdung der christlichen Existenz durch die Unbegreiflichkeiten göttlicher Weltregierung gesagt haben, läßt sich zunächst gleicherweise auf die Schönstätter Existenz anwenden.

Der praktische Vorsehungsglaube ist anerkann- [[96]] termaßen die Wurzel unseres Seins und Wirkens. Wer die Wurzel angreift, gefährdet Existenz und Fruchtbarkeit des Baumes. Es ist nicht schwer, nachzuweisen, daß in unserem Falle die Zeitenstürme die Wurzel nicht nur nicht gelockert und gelöst, sondern Jahr für Jahr tiefer /

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gelegt und unausrottbar mit Grund und Boden, mit dem Urgrund - mit Gott - verbunden haben. Ähnliches beobachten wir ja auch in der Natur, wenn Sturm und Ungewitter die Pfahlwurzeln des Baumes stärker in das Erdreich hineinwachsen lassen, so daß sie künftig widerstands- und tragfähiger werden. Man braucht sich nur an den Wagemut zu erinnern, womit wir das »Gesetz der geöffneten Tür« angewandt haben, um Gottes Planung im Einzelfalle richtig zu deuten und aus dem Glauben heraus zu leben. Nur so war es uns möglich, unbeirrbar ruhig und sicher durch alle Fährnisse der Zeit unseren Weg zu nehmen. Nicht mit Unrecht nennt sich deshalb die Familie Providentia-Kind per eminentiam(12).

Bei Gelegenheit einer feierlichen Akademie zum 20. Mai 1952 konnte ein junger chilenischer Akademiker anhand der Geschichte nachweisen, daß die Familie in ausgeprägter Weise ein Kind des Glaubens und der gegenseitigen Treue ist.

Es gibt noch andere Gefahren, die unsere Schönstätter Existenz bedrohen. Sie kommen vor allem von zwei Seiten her: aus dem außerkirchlichen Raume durch den Kollektivismus und aus dem innerkirchlichen Raume durch das mechanistische Denken. Wir dürfen aber auch wieder umgekehrt sagen: Weil wir unsere Daseinsform - unser originelles Liebesbündnis - so kraftvoll und dauernd verwirklicht haben, sind wir nicht nur von diesen Gefährnissen bewahrt geblieben, wir haben sie auch dort überall gebannt, wo wir auf sie gestoßen sind, sahen sogar unsere Aufgabe darin, durch Ausbreitung /

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des Liebesbündnisses sie in weitesten Kreisen zu überwinden.

Es mag gut sein, hier besinnlich stehenzubleiben, um das Bündnis tiefer zu erfassen und dann erst seine angedeutete doppelte Funktion zu untersuchen.

Es dürfte mehr und mehr ersichtlich werden, von welcher Bedeutung in der gegenwärtigen Diskussion und für die künftige Entfaltung der Familie das Liebesbündnis ist. Wer die Zusammenhänge klarhat, der versteht, weshalb ich bei jeder Gelegenheit darauf zurückgreife und nicht davon loskomme, während ich auf Organisationsfragen offenbar nicht soviel Gewicht lege.

Man vergleiche, wie die alten Propheten sofort auf dem Plan waren, wenn der heilsgeschichtliche Bund Jahwes mit dem auserwählten Volke irgendwie gefährdet war. Dann gerieten sie in Harnisch und kamen nicht zur Ruhe, bis das Bündnis erneuert und das Bundesbewußtsein wieder tiefer in das Lebensgefühl des Volkes eingedrungen war und im Alltag lebendig wurde. So hören wir bei Gelegenheit Jeremias eifern:

»Gesetzt den Fall, ein Mann entläßt sein Weib. Ist dieses doch von ihm gegangen und eines anderen Mannes geworden. Wird jener wohl sich wieder zu ihm wenden? Hat sich nicht gleichfalls dieses Land entweiht? Du aber hast mit vielen Buhlen schon gebuhlt. Und dennoch: Kehr' zu mir zurück... Ich dachte: Hat sie all das getan, wird sie zu mir sich wieder wenden. Sie aber kehrte nicht zurück. Und da erblickte sie ihre ungetreue Schwester Juda. Sie sah zwar, daß ich Israel, weil sie, die ganz Abtrünnige, die Ehe brach, die Entlassung gab und ihr den Scheidebrief zustellte. Und doch hat ihre /

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ungetreue Schwester Juda nimmer sich gescheut, ist hingegangen und hat ebenfalls gebuhlt. Und ihre Unzucht war ganz unaussprechlich; und sie entweihte so das Land, trieb Ehebruch mit Stein und Holz... Denn so wie um der Buhler willen ist ein Weib untreu geworden, seid ihr vom Hause Israel mir auch untreu geworden« (Jer 3, 1.7-9.20).

[[97]] Der Maibrief 1948 schließt mit einem ähnlichen Gedanken. Da heißt es:

»Gott bewahre uns vor diesem tragischen Schicksal! Er erwecke in unseren Reihen Männer und Frauen, die wie die alten Propheten gleich Sturmesgebrause durch die welken Blätter eines morschen Baumes hindurchfegen, immer wieder neu zum Kampfe aufrufen und höchste Forderungen an sich und andere stellen(13).«

Von unserem Liebesbündnis lassen sich viele bedeutsame Aussagen machen. Wir können es schlechthin Grundform und Grundsinn oder Zielgestalt, Grundkraft und Grundnorm unserer Familie nennen und unsere Familiengeschichte als historische Entfaltung des Bündnisses, als authentische Bündnisgeschichte, als Triumph gegenseitiger Bündnistreue auffassen und verständlich machen. Das ist bereits bis zu einem gewissen Grade durch den »Schlüssel(14)« geschehen. Der Versuch soll später fortgesetzt und vollendet werden.

Wir können unser Bündnis aber auch in den großen Zusammenhang mit dem universellen Heilsgeschehen /

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rücken, um durch Gegenüberstellung oder durch Herausarbeitung von Gleichheit und Ungleichheit, von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit klarer sehen zu lernen und uns davon zu überzeugen, daß unser Liebesbündnis eine originelle, konkrete Form des Bundes ist, den Gott mit den Menschen im Paradies geschlossen hat und durch die Heils- und Weltgeschichte verwirklichen will.

Damit berühren wir Gedanken, die uns zwar geläufig sind, die aber doch eine Vertiefung verlangen, damit wir etwaigen inneren Schwierigkeiten gewachsen sind und nach außen Rede und Antwort geben können.

 

1. Vgl. in diesem Zusammenhang J. Kentenich, Marianische Erziehung, Vallendar 1971, 62, 179, 241 ff.

2. Alles, was aufgenommen wird, wird nach der Weise des Aufnehmenden aufgenommen.

3. Präsidium oder Generalpräsidium ist das die ganze Schönstattbewegung repräsentierende Gremium, das sich aus den Vertretern der einzelnen Gemeinschaften zusammensetzt.

4. Unter Zentrale versteht man die hauptamtlichen Betreuungskräfte der Schönstätter Laiengliederungen unter dem Bewegungsleiter.

5. Die Säkularinstitute in Schönstatt.

6. Vgl. Bd. I, S. 30.

7. Vgl. Bd. I, S. 24.

8. Vgl. Bd I, S. 79.

9. Vgl. Bd I, S, 84.

10. Vgl. Bd. I, S. 127.

11. Vgl. Bd. I, S. 125.

12. Kind der (göttlichen) Vorsehung in ausgezeichneter Weise.

13. Brief vom 6. 5. 1948 aus Nueva Helvecia / Uruguay, 61. Vgl. Bd. I, S. 118.

Aus: Das Lebensgeheimnis Schönstatts. II. Teil: Bündnisfrömmigkeit, Vallendar-Schönstatt 1972, 278 S. – www.patris-verlag.de

 

Eingestellt von
O B
KM
Eingestellt am: 16.05.2011 10:41
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