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JoBr52-06_124-130
Die Originalität des Schönstätter Liebesbündnisses VI
»In Maria« - Philosophie und Psychologie der Liebe

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»In Maria«

Der abstrakte Ausdruck heißt »in Maria(18)«. Er besagt eine tiefe, eine innige, eine ganzheitliche Herzensverschmelzung zwischen Maria und Seele; ein seelisches Ineinander zwischen beiden Liebenden, das mit einem seelischen Nebeneinander nicht zufrieden ist. Dieses Ineinander macht ja das Wesen jeder tiefgreifenden, jeder ganzheitlichen Liebe aus. Nicht umsonst nennt man /

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Liebe eine einigende und verähnlichende Kraft(19). Dabei ist das erste Moment das wichtigere; das zweite, die Verähnlichung, ist selbstverständliche Folge der seelischen Vereinigung. Man spricht deshalb auch von Lebensübertragung, wo Liebe Herz und Herz verbindet.

Grignion legt viel Gewicht auf diese moralische Einschmelzung oder Einformung und Einwurzelung. Nach ihm sucht der Heiland überall in den Seelen Maria: So sehr hängt er an ihr, so stark verlangt er allüberall nach ihr(20). Grignion läßt den göttlichen Bräutigam zu seiner einzigartigen sponsa et consors - zu seiner amtlichen Dauergefährtin (sponsa) und Dauerhelferin (consors) also sprechen:

»Laß, meine Vielgeliebte und Braut, alle deine Tugenden in meinen Auserwählten Wurzel schlagen, damit sie wachsen von Tugend zu Tugend, von Gnade zu Gnade. Ich fand solches Wohlgefallen an dir, als du unter [[139]] Übung der erhabensten Tugenden auf Erden lebtest, daß ich wünsche, dich noch auf Erden zu finden, ohne daß du aufhörst, im Himmel zu sein. Bilde und gestalte dich zu diesem Zwecke in meinen Auserwählten, so daß ich in ihnen mit Wohlgefallen die Wurzeln deines unüberwindlichen Glaubens, deiner tiefen Demut, deiner allseitigen Abtötung, deines erhabenen Gebetes, deiner glühenden Liebe, deiner festen Hoffnung und aller deiner Tugenden sehe. Du bist immer meine Braut; ebenso getreu, rein und so fruchtbar wie ehedem: So gebe mir denn dein Glaube meine Gläubigen, deine Reinheit gebe mir Jungfrauen, deine Fruchtbarkeit gebe mir Auserwählte und Tempel« (Nr. 34).

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In gleicher Weise verlangt der Heilige Geist überall nach dem »Geistlichen Gefäß(21)«, nach Maria, in den Seelen, damit er sie mit seinen Gaben anfüllen kann(22). Findet er sie nicht, so zieht er sich zurück:

»Wenn der Heilige Geist... Maria in einer Seele gefunden hat, so fliegt er hin zu ihr, zieht mit seiner ganzen Fülle in diese Seele ein und teilt sich ihr überreichlich mit, und zwar in dem Maße, als die Seele seiner Braut Raum gewährt. Und eine der Hauptursachen, warum der Heilige Geist gegenwärtig keine auffallenden Wunder in den Seelen wirkt, liegt darin, daß er dieselben nicht innig genug mit seiner getreuen und unzertrennlichen Braut vereinigt findet... ; denn seitdem der Heilige Geist... sich mit Maria vermählt hat, um Jesus Christus, das Haupt der Auserwählten, und Jesus Christus in den Auserwählten hervorzubringen, hat er sie niemals verstoßen« (Nr. 36). »Wer in sich die Wirkung des Heiligen Geistes haben will, muß seine getreue und unzertrennliche Braut haben, die erhabenste Jungfrau Maria« (Nr. 164).

Die vollkommene Herzensverschmelzung mit der Gottesmutter ist nach Grignion der leichteste, sicherste und kürzeste Weg zur Herzensverschmelzung mit dem Heiland und dem dreifaltigen Gott(23). Heutiges Denken sieht hier vielfach einen unüberbrückbaren Gegensatz, wo das Leben eine geschlossene Einheit und Ganzheit kennt. Aus allem, was wir bislang aus Grignions Feder und Herz in uns aufgenommen haben, wissen wir, daß er um das »in Maria« ringt, lediglich um das »in Christo« und »in Sanctissima Trinitate(24)« zu sichern.

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Es entspricht so ganz seiner Denkweise, wenn er seine »Vollkommene Andacht zu Maria« aus der vollkommenen Nachfolge Christi ableitet und mit ihr begründet(25). Sein Gedankengang ist folgender: Christus war seiner Mutter bis zum dreißigsten Lebensjahre untertan. Durch den dadurch betätigten Gehorsam hat er dem himmlischen Vater mehr Ehre erwiesen, als wenn er in dieser Zeit große Wunder gewirkt hätte(26). Der Grund ist einsichtig: So und nicht anders hat es der Vater für diese Zeit gewünscht.

Es ist der himmlische Vater des Heilandes, zu dessen Verherrlichung er auf die Welt gekommen ist. Darum betet er beim Morgengebet seines Lebens: »Schlacht- und Sühnopfer hast du nicht gewollt, aber einen Leib hast du mir gegeben: Siehe, Vater, ich komme, deinen Willen zu erfüllen« (Hebr IO, 5-7). Darum hat er zum Leitgedanken seines Lebens das Wort gewählt: »Was Vater Freude macht, tue ich allezeit« (Jo 8. 29). Durch desselben Vaters Huld sind wir Glieder und Brüder Christi geworden. Deshalb sind wir gleichzeitig zu derselben Haltung der Gottesmutter gegenüber verpflichtet wie der Herr. Grignion kennt also zunächst den Weg per Christum ad Mariam, um von da aus per Mariam ad Christum(27) in vollkommener Weise zu kommen.

Die Philosophie der Liebe

Die Philosophie der Liebe vermag die für modernes Denken und Empfinden auftauchende Schwierigkeit /

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theoretisch leicht zu lösen. Sie braucht sich nur auf die verähnlichende Kraft der Liebe zu berufen oder auf die in der Liebe wirksame Lebensübertragung.

Nach Grignion ist die Gottesmutter die personifizierte, inkarnierte »Beziehung zu Gott«: zu Christus und zum [[140]] dreifaltigen Gott; sie ist schlechthin das »Echo Gottes(28)«. Die seelische Umformvng in sie schließt darum notwendig die gleiche Umformung in Gott, in Christus ein.

Pater Köster will dasselbe sagen, wenn er Maria das Christusgefälle oder den Christusstrudel nennt(29). Wer in dieses Gefälle, in diesen Strudel hineinkommt, der wird mit unwiderstehlicher Gewalt zu Christus hin, in Christus hinein und dadurch in den dreifaltigen Gott gezogen. Protestantisches Denken und Empfinden kennt keine Gott- und Christusmittelbarkeit ; es spricht lediglich von Gott- und Christusunmittelbarkeit. Der Katholik kennt, liebt und lebt beides, das eine und das andere: Gottmittelbarkeit und Gottunmittelbarkeit. Er weiß gleichzeitig beides miteinander zu verbinden.

Der »Hirtenspiegel« wird nicht müde, die Bitte zu wiederholen:

»Laß uns in heiliger Dreieinheit stehn
und so im Heiligen Geist zum Vater gehn!(30)«

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Dreieinheit ist, so wie sie hier erstrebt wird, die Einheit zwischen Seele, Maria und Christus. Sie will in alleweg bis zu einem gewissen Grade erreicht werden, ganz gleich, wo der Weg anfängt. Seelische Beweglichkeit und Offenheit für Gottes Führung geht heute vom Heiland zur Gottesmutter, morgen von der Gottesmutter zum Heiland. So fließt - bald bewußt, bald unbewußt - ineinander über, was die beiden Worte künden: per Christum ad Mariam und per Mariam ad Christum. Die Gottesmutter braucht nicht immer der organische Ansatzpunkt einer tieferen Christusliebe zu sein. Sie darf niemals der organische Endpunkt werden. Unter allen Umständen muß sie aber organischer Durchgangspunkt sein, sonst fehlt unserer Schönstätter Frömmigkeit ein Wesenselement.

Theoretisch mag solche philosophische Erkenntnis und Gesetzmäßigkeit anerkannt werden, praktisch wissen jedoch viele Kreise im katholischen Lager, zumal unter den Gebildeten, nichts damit anzufangen.

Die Psychologie der Liebe

Die Psychologie der Liebe weist denselben Weg - leider mit demselben praktischen Mißerfolg. Nach Augustinus ist die Liebe - psychologisch gesehen - inscriptio cordis in cor(31), sie ist eine Herzensverschmelzung. Danach muß die vollkommene Liebe als eine inscriptio perfecta, perpetua, mutua - als eine vollkommene, dauernde, gegenseitige Herzensverschmelzung aufgefaßt werden. Sie schwebt nicht frei in der Luft; sie hat einen lebendigen, /

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personellen Gegenstand als Mittelpunkt, der letzten Endes als Abbild Gottes warme Liebe weckt und emporbildet und in das Herz Gottes zurück- und weiterleitet. Das tut sie aber so, daß sie den unmittelbaren menschlichen Gegenstand edler Liebe mit in Gott, in die Gottesliebe hineinnimmt. Das ist so wahr, daß die visio beata(32) nicht nur ein geheimnisvolles seelisches Ineinander zwischen Seele und Gott, sondern auch zwischen Seele und Seele, zwischen Mensch und Mensch ist - genauso, wie die poena damni(33) in der Hölle das Gegeneinander zwischen Seele und Gott und zwischen Seele und Seele in sich begreift.

Wenn wir den hier gemeinten Lebensvorgang psychologisch analysieren, so müssen wir vom Gesetz der organischen - nicht der mechanischen - Übertragung und Weiterleitung sprechen(34). Aber auch hier machen wir wiederum dieselbe Beobachtung: Ich höre die Botschaft, doch mir fehlt der Glaube(35). Das heißt praktisch: Ich weiß mit diesen Gesetzen in ihrer Anwendung auf das »in Maria« und »in Christo Jesu« nichts anzufangen. Woher mag das kommen?

18. Vgl. Abhandlung, Nr. 16, 261 u.a.

19. Vgl. Dionysius Areopagita, De Div. Nom., c. 4 (PG 3,7o9; 713): »Amor esr vis unitiva et concretiva«: Die Liebe ist eine einigende und verschmelzende Kraft.

20. Vgl. Abhandlung, Nr. 31.

21. Titel aus der Lauretanischen Litanei. Vgl. Abhandlung, Nr. 178.

22. Vgl. Abhandlung, Nr. 217.

23. Vgl. Abhandlung, Nr. 152 (-168).

24. In der allerheiligsten Dreifaltigkeit.

25. Vgl. Abhandlung, Nr. 62.

26. Vgl. Abhandlung, Nr. 139.

27. Durch Christus zu Maria; durch Maria zu Christus.

28. Vgl. Abhandlung, Nr. 225.

29. Vgl. H. M. Kösrer, Unus Mediator, 303 f. P. Kentenich

selbst hat dieses Bild oft verwendet.

30. Himmelwärts, 45. Der »Hirtenspiegel« ist ein von P.

Kentenich im KZ Dachau verfaßtes umfangreiches Lehrgedicht. Näheres dazu bei E. Monnerjahn, Häftling Nr. 29392, Vallendar

1972, S. 211-216.

31. Bei Augustinus konnte dieses Wort noch nicht verifiziert werden.

32. Beseligende (Gottes-)Schau.

33. Die Strafe der Verdammnis.

34. Vgl. J. Kentenich, Marianische Erziehung, Vallendar 1971, 155 ff.

35. Vgl. J.W. v. Goethe, Faust, Erster Teil, Szene Nacht: »Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube«.

Aus: Das Lebensgeheimnis Schönstatts. II. Teil: Bündnisfrömmigkeit, Vallendar-Schönstatt 1972, 278 S. – www.patris-verlag.de

 

Eingestellt von
O B
km
Eingestellt am: 17.05.2011 11:36
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