Anzeigen

 

Haus Moriah Nachrichten Aktuell 2006-2020

Ein Heiligtum in unserer Mitte
Predigt am Schönstatt-Tag "nach Lukas"
Dr. Peter Wolf

Liebe Pilgerinnen und Pilger, liebe Schönstattfamilie,

mit der Kirche feiern wir heute das Fest des großen Evangelisten Lukas. Er sieht sich in einer Reihe mit anderen aus der jungen Kirche, die es versuchten, die Botschaft und das Leben Jesu für die Menschen ihrer Zeit ins Wort zu bringen und für die Zukunft weiter-zugeben. Er versichert uns, dass er es unternommen hat, allem von Grund auf nachzu-gehen, um seine Leser von der Zuverlässigkeit der Lehre zu überzeugen. Er hat Erin-nerungen und Erzählungen aus der Kindheit Jesu und aus seinem öffentlichen Wirken gesammelt. Er hat Worte und Gleichnisse Jesu, Erinnerungen an Predigten und Geschichten über ihn zusammengetragen und geprüft, so gut er es konnte. Daraus hat er ein Buch gestaltet, das uns das Leben und Wirken Jesu in fortlaufender Weise erzählt. Als ein durchaus begabter Schriftsteller hat er überlegt, womit er beginnt und womit er sein Buch enden lässt. Er musste sich entscheiden, wie er die vielen Erinnerungen in eine gute, einleuchtende Reihenfolge bringen könnte. Anders als die anderen Evangelisten beginnt er sein Evangelium im Tempel in Jerusalem, wo Zacharias gerade Dienst tut und die Verheißung seines Sohnes Johannes erhält. Und er schließt sein Buch wiederum im Tempel mit der Erinnerung, dass die Jünger Jesu sich nach dessen Tod und Auferstehung immer wieder im Tempel in Jerusalem getroffen haben.

Neutestamentliche Bibelwissenschaftler weisen gern darauf hin, dass Lukas sein Evange-lium ganz auf Jerusalem und den Tempel hin ausgerichtet hat. Ja sie machen darauf aufmerksam, dass sich dies in seinem Evangelium wiederholt. Das könnte heute für uns interessant werden, wenn wir hier in der Nähe des Urheiligtums einen Gottesdienst feiern mit dem Motto: Ein Heiligtum in unserer Mitte. Nach Lukas zielt und kreist das Leben und Wirken Jesu um das große Heiligtum in der Mitte seines Volkes, das seinem Vater gehört.

Bereits in den beiden ersten Kapiteln über die Geburt und Kindheit Jesu führt uns Lukas gleich zweimal in die Stadt Jerusalem mit dem Tempel in der Mitte: Unmittelbar nach der Verkündigungsstunde bricht Maria auf und geht hinauf in das Bergland von Judäa zu ihrer Verwandten Elisabeth. Dort wird sie in ihrer Berufung erkannt in der Seligpreisung durch Elisabeth. „Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ (Lk 1,34) Und nach der Geburt bringt sie zusammen mit Josef ihren Erstgeborenen zum Tempel, um ihn an diesem heiligen Ort dem Herrn zu weihen (vgl. Lk 2,21-40). Nach Lukas ist der Tempel der Ort, wo Jesus als der Erlöser erwartet und als das Licht der Welt erkannt wird. Nach Jahren in der Heimat Nazareth weiß uns der Evangelist Lukas im Unterschied zu den anderen Evangelisten wieder von einem Weg nach Jerusalem zu berichten. Er erzählt von der Pilgerfahrt des Zwölfjährigen mit seinen Eltern. Damit verbindet sich die Erinnerung, dass er verloren ging und Maria und Josef ihn im Tempel fanden. Und jetzt fällt das erste Wort Jesu: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört“ (Lk 2,49).

Dann folgen im Evangelium des heiligen Lukas die Erzählungen über die Berufung der Jünger und sein erstes Wirken (Lk 3,1-9,50), um dann über zehn Kapitel hinweg uns seinen Weg hinauf nach Jerusalem zu erzählen (Lk 9,51-19,27). Nahezu das ganze öf-fentliche Wirken Jesu wird in seinem Evangelium zu einem Weg nach Jerusalem. Dann schildert der Evangelist den feierlichen Einzug Jesu in Jerusalem und die Reinigung des Tempels und stellt fest: „Und Jesus lehrte täglich im Tempel“ (Lk 19,47). Viele Inhalte, die wir auch aus den anderen Evangelien kennen, verlegt Lukas in die Lehrtätigkeit Jesu im Tempel. Jesus zieht sich nachts zum Gebet auf den Ölberg zurück, um am frühen Morgen im Tempel das ganze Volk zu lehren (vgl. Lk 21,37-38). Auch nach Jesu Tod und Auferstehung kommt es Lukas darauf an, dass die Jünger gemäß dem Auftrag Jesu in der Stadt Jerusalem bleiben. Nach der Himmelfahrt des Herrn schließt der heilige Lukas sein Evangelium mit dem Satz: „Und sie waren immer im Tempel und priesen Gott“ (Lk 24,53).

Es ist also offensichtlich ein besonderes Interesse des Evangelisten Lukas, das Leben und Wirken Jesu mit dem Tempel in Verbindung zu bringen. Was könnte ihn dazu bewogen haben, diese Beziehung so zu betonen und herauszuarbeiten?

Der Tempel steht für die heilige Geschichte Gottes mit seinem Volk. Er erinnert an die Gotteserfahrung Israel, der sich dieses Volk erwählt hat und in seiner Mitte wohnen will. Der Tempel steht für die Verheißungen Gottes, die in Erfüllung gehen in der Erfahrung des Zacharias, der Hanna und des greisen Simeon. Das Leben Jesu von seinen ersten Anfängen bis zu seinem Tod mit diesem heiligen Ort Gottes zu verknüpfen, war ein deut-liches Signal, hier geht Gottes Geschichte weiter. Dieses Kind, dieser Zwölfjährige und dieser Mann mit seiner Lehre gehören hinein in das Handeln Gottes, in die von ihm be-gonnen Geschichte des Heils. In ihm erfüllen sich die Verheißungen der großen Geschichte, für die dieser Tempel, dieses Heiligtum Gottes steht.

Es gibt die Treue Gottes, die Spuren hinterlässt in der Geschichte. Für Lukas ist der Tempel ein heiliger Ort mitten in Israel, ein Ort, wo Menschen Gott suchen und auf die Erfüllung der Verheißungen warten. Er ist ein Heiligtum der Präsenz Gottes, der seine Verheißungen wahr macht. Er ist ein Haus des Gebetes, das Jesus als solches prophetisch einfordert und energisch wiederherstellt, wo sein ursprünglicher Charakter verletzt ist. Er ist der Ort, wo der Weg Gottes gelehrt wird, wo Jesus täglich lehrt. Für Lukas gibt es diesen hervorgehobenen, ausgezeichneten Ort inmitten der Welt und der Stadt. Für ihn gibt es „ein Heiligtum in unserer Mitte“, wie es das Motto des heutigen Tages ausdrückt. Ja selbst das Leben und Wirken Jesu ist für Lukas an diese Mitte gebunden und kreist um diesen heiligen Ort. Obwohl Lukas durchaus die Weissagungen Jesu von der Zerstörung des Tempels kennt und vermutlich sogar um das historische Ende des Tempels weiß, ist für ihn das Heiligtum von Jerusalem selbstverständliche Heimat der ersten Christen für ihren Gottesdienst. Freilich behält für ihn der Tempel nicht den Charakter der Ausschließlichkeit als Ort der Gottesbegegnung. Wo immer der Auferstandene seinen Jüngern begegnet, ist Ort der Gotteserfahrung und geht sein Lehren weiter, sei es im Abendmahlsaal, auf dem Weg nach Emmaus oder für Paulus vor Damaskus. Auch wir dürfen darauf setzen, dass in unserer Welt und Zeit „Heiligtum in unserer Mitte“ dort wird, wo Gott es will und Menschen sich darauf einlassen.

Unter uns lebt der Glaube, dass das alte Michaelskapellchen hier im Tal von Schönstatt zum Heiligtum geworden ist. Pater Josef Kentenich hat sich im Vorsehungsglauben führen lassen und junge Menschen dafür gewonnen, mit ihm der Mutter des Herrn die Bitte vorzulegen, dass hier ein Ort der Gnade, „ein Heiligtum in unserer Mitte“ entsteht. Es soll die Mitte des zweiten Jahres unseres Weges zum Jubiläum 2014 sein. Das ist die Freude des heutigen Tages und dafür lasst uns danken in dieser Stunde der Eucharistie.

Dr. Peter Wolf

Datum: 21.10.2011
Autor: O B
 
 

Seite drucken Seite versendenImpressum