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Samstag 20.04.2024, 03:06 Uhr
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KR-2 DE Kopf Text



31. Personalcharakter und Stellung Mariens im Heilsplan




Der hervorstechendste Unterschied zwischen dem Gottesbund im Alten und Neuen Testament und dem Schönstätter Liebesbündnis dürfte darin bestehen, dass letzteres explizit mit der Gottesmutter geschlossen wird.
Diese Spezifizierung des Bundes zu einer marianischen Modalität entspringt nicht einfacher Volksfrömmigkeit, sie ist nicht bestimmt von einer gemütvollen Marienliebe, wie der Gründer häufig betonte, sondern hat zwei objektive dogmatische Gründe.
Zum einen versteht Pater Kentenich die besondere Initiative der Gottesmutter in Schönstatt auf dem Hintergrund unserer Zeit, die vor allem die Frage nach dem richtigen Menschenbild und deshalb auch die Frage danach stellt, wie der Mensch sich auf Gott beziehen, welche Rolle er im Heilsgeschehen spielen soll. Die Antwort auf diese Frage offenbart Gott in der Gottesmutter.
Zum anderen beruht der marianische Charakter unseres Liebesbündnisses in der offiziellen Stellung und Rolle der Gottesmutter im Heilsgeschehen. Gott selbst ist es, der der Gottesmutter eine besondere Stellung gegeben und ihr als Gefährtin Christi eine besondere Sendung übertragen hat. In der Nachfolge des Gründers versteht sich Schönstatt als eine Bewegung, die diese Wahrheit besonders aufnimmt und ins Leben überträgt.

Der vorliegende Text ist eine Darstellung des Gründers über den Personalcharakter und die besondere Stellung der Gottesmutter.
Er ist entnommen dem Exerzitienkurs „Der Marianische Priester“ (1941) 35-39 und 40-46 (2 Vorträge).



 Der erste Hauptteil verlangt die Beantwortung von drei Fragen:
 A. Was versteht man in genere unter einer solchen Uridee?
 B. Wie sieht in concreto die Uridee von der Gottesmutter aus?
 C. Wie wirkt die Uridee sich aus? [hier nicht ausgeführt]

A. Was versteht man in genere[75] unter der Uridee?


Diese Uridee ist gleichbedeutend mit dem persönlichen Ideal: Idea exemplaris in mente divina praeexistens[76]. Man kann dafür auch das Wort Personalcharakter gebrauchen. Es ist die charakteristische Eigenschaft einer Persönlichkeit. Sie unterscheidet die Persönlichkeit von allen anderen Persönlichkeiten und gibt mir das Moment an, von dem aus ich die Persönlichkeit verstehen kann.
Die Frage heißt also: Wie sieht denn das persönliche Ideal der Gottesmutter, wie sieht ihr Personal­charakter aus?

Unsere Theologen sprechen vom übernatürlichen Personalcharakter der Gottesmutter und wollen damit sagen, dass der Erklärungsgrund ihrer Persönlichkeit ein rein übernatürlicher sei. Auch von mir selber darf ich sagen, dass mein Personalcharakter ein übernatürlicher sei, weil ich ganz hineingewachsen bin in die übernatürliche Welt. Der Erklärungsgrund meiner Persönlichkeit ist kein rein natürlicher. Bei der Gottesmutter aber soll das Wort übernatürlicher Personalcharakter per eminentiam[77] gelten: Der Erklärungsgrund ihrer Persönlichkeit ist ein rein übernatürlicher. In ihr ist die übernatürliche Welt in einer Weise wirksam, dass Scheeben[78] erklärt: Sie geht hinein in die hypostatische[79] Ordnung. Wenigstens dürfen wir sagen: Sie berührt diese. Vor uns steht der Gottmensch, der als göttliche Person eine menschliche Natur sich angeeint hat zur Einheit einer gottmenschlichen Person. Da haben wir eine Welt für sich, die endlos alle anderen Geschöpfe überragt. Vor uns steht die Gottesmutter, die so übernatürlich ist, dass sie mit ihrem ganzen Wesen die hypostatische Ordnung berührt. Das soll gesagt sein, wenn wir von ihrem übernatürlichen Personalcharakter sprechen.

Wir dürfen hier schon eine Folgerung ziehen: Füglich kann dieser übernatürliche Personalcharakter unter keinen Umständen verdient werden. Er ist schlechthin ein Akt der praedestinatio absoluta[80].

B. Worin besteht in concreto dieser geheimnisvolle, übernatürliche Personalcharakter der Gottesmutter?

Das ist eine bedeutungsvolle Frage, denn nur dann verstehen wir die Persönlichkeit der Gottesmutter, wenn uns ihr Personalcharakter klar ist, der Grundzug, der ihr ganzes Sein und Leben erklärt. Von diesem Personalcharakter fällt sodann viel Licht auf die Fragen der Mariologie, die noch nicht geklärt sind. Wer also die Mariologie fördern will, muss sich um Klärung des Personalcharakters bemühen.

Bedeutungsvoll endlich ist die Frage aus diesem Grunde: Wenn ich den Personalcharakter der Gottesmutter verstehe, dann kann ich auch unser Volk verstehen, das ohne Reflexion aus der gläubigen Schau des Personalcharakters lebt.

Es ist aber auch eine schwierige Arbeit, zunächst weil wir uns bei dieser Frage nicht stützen können auf kirchlich autoritative Entscheidungen; ferner weil die Frage in dieser Zuspitzung erst neueren Datums ist. Früher war die Fragestellung mit dieser klaren Reflexion wohl nicht möglich, weil die Glaubenswahrheit von der Immaculata Conceptio[81] noch nicht definiert war. Erst musste dieses Spitzenprivileg der Gottesmutter geklärt sein. Von daher konnte auch dann die Frage kommen: Was ist denn die Quelle ihrer Größe? Schwierig ist die Frage drittens auch deswegen, weil sie heiß umstritten ist.

Bevor wir die Frage beantworten, fassen wir kurz zusammen, was denn die Theologen gemeiniglich als Personalcharakter der Gottesmutter darstellen. Wir werden zu den verschiedenen Antworten jedesmal Stellung nehmen müssen in der Form: Die Antwort ist richtig, aber sie sagt nicht alles und trifft nicht den Kern.

Eine erste Antwort sagt, in dem „gratia plena“[82] sei der Personalcharakter der Gottesmutter ausgesprochen. Darin klinge das Kernstück ihrer Persönlichkeit und damit auch der ganzen Mariologie mit.

Die Formulierung ist biblisch. Ich kann auch alles darauf zurückführen und in dem gratia plena die ganze Mariologie mitklingen hören. Ich muss aber das gratia plena richtig umschreiben und abgrenzen. Es muss also zu dieser Formulierung noch etwas hinzukommen, wenn sie den Kern treffen soll. Aus dem gratia plena allein kann man alles herauslesen, aber nichts wissenschaftlich Bestimmtes, klar Abgegrenztes.

Eine zweite Antwort: Das „Mater Jesu“ ist oft als Kernstück der Mariologie genommen worden. Zweifellos kann dabei alles mitklingen, was Gott von der Gottesmutter gedacht hat. Aber die Protestanten nehmen es, wie es in der Hl. Schrift steht, nehmen nur den sensus obvius[83]: Sie hat dem Heiland den mütterlichen Naturdienst erwiesen. Dazu ist aber nicht die Jungfräulichkeit vor, in und nach der Geburt erforderlich.

Im katholischen Denken und Fühlen klingt viel mehr mit, als was die bloßen Worte „Mater Jesu“ sagen. Wenn wir uns das vergegenwärtigen, verstehen wir, welche Aufgaben der katholische Dogmatiker hat. Er muss das in Worte kleiden, was von jeher mitklingt und mitschwingt, wenn der Katholik die Worte Mater Jesu spricht. Er hört dabei eine ganze Welt mit. „Mutter“ bedeutet in diesem Zusammenhang weit mehr, als wenn wir etwa von der Mutter eines Pius X. sprechen. Hat die Mutter dem Heiland etwa nur den mütterlichen Naturdienst erwiesen, ihm in dieser Hinsicht alles gegeben, was sie konnte, dann aber nichts mehr mit ihm und seiner Erlösungsaufgabe zu tun gehabt? Katholisches Denken und Fühlen will mehr sagen, wenn es die Worte Mater Jesu gebraucht. Duns Scotus und andere suchen diese Tatsache zu fassen, wenn sie den Satz aufstellen: Das schickt sich nicht[84]! Katholischer Instinkt kennt da noch etwas Unwägbares; „Gott konnte wohl eine größere Welt, sich aber keine größere Mutter schaffen“, sagt St. Bonaventura.

Im Bilde gesprochen und in unserer Sprache ausgedrückt: Wir kennen eine kleine und eine große Form unseres persönlichen Ideals, Die kleine Form trifft etwas Richtiges, aber nicht den Kern wie die große. Die bisher angeführten Formulierungen für den Personalcharakter der Gottesmutter sind „kleine“, sind dem Gegenstand nicht adäquat, wenn bei dem, der sie gebraucht, auch alles mitklingen mag.

Eine dritte Antwort: Die Gottesmutter ist die zweite Eva. Zweifellos ein feiner Gedanke. Auch geschliffen und wissenschaftlich scharf umrissen ist der Gedanke. Wir werden nicht daran vorbeigehen können, wenn wir wiedergeben wollen, was die Person der Gottesmutter in ihrem Wesen konstituiert

Eine vierte Antwort: Maria ist die gottesmütterliche Braut oder die gottesbräutliche Mutter des Herrn (Scheeben). Es ist der ernste Versuch, das auszudrücken, was katholisches Empfinden bei Mater Jesu meint. Man hat neuerdings dafür den Ausdruck: göttliche Mutterschaft geprägt.

Auch diese beiden Formulierungen, die dritte und vierte Antwort sind unzureichend, weil ich immer noch fragen muss, was denn mitklingt.

Lässt sich denn die „große Formel“ nicht finden?

Versuchen wir eine Antwort. Sie ist gewagt. Hören wir sie in Geduld an.

Der übernatürliche Personalcharakter der lieben Gottesmutter besteht darin, dass sie ist und angerufen werden darf als die einzigartig würdige bräutliche Dauergenossin und Dauergehilfin Christi, des Hauptes der ganzen Schöpfung, bei seinem ganzen Erlösungswerk.

Man könnte zunächst, um sich mit dieser Formel ein wenig auseinanderzusetzen, sie mit den oben angegebenen Antworten vergleichen und ihr Verhältnis zueinander überprüfen. Man könnte sodann eine erste Probe machen und die Frage stellen: Wo, in welchen Worten ist denn das Privileg der Jungfräulichkeit, der Gottesmutterschaft, der Unbefleckten Empfängnis, der Sündenlosigkeit zum Ausdruck gebracht? All diese Privilegien stehen klar darin. Freilich ist diese Formulierung mehr gewählt, um das Unbekannte, das Strittige, in der Mariologie stärker hervorzuheben.

Die Gottesmutter ist das Wunder der Wunder, das Geheimnis der Geheimnisse. Und sie ist uns in Schönstatt geschenkt als der „Schatz im Acker“. Wie sind wir doch für das Übernatürliche so sehr abgestumpft! Darum möchte ich mit dem hl. Bernhard erschaudern, wenn ich daran gehe, dieses Geheimnis zu lüften. Möchte aber auch die Gottesmutter bitten: Hilf Du mir doch! Möchte sie bitten, sie möge uns heimsuchen, wie sie Elisabeth heimgesucht hat! Elisabeth wird vom Hl. Geist erfüllt und beginnt dann, die Größe der Gottesmutter darzustellen: „Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes.“

                                                                                              ***********

Wir suchen die Uridee der Gottesmutter zu erkennen und haben sie in der angegebenen Definition umschrieben. 

Vielleicht ist inzwischen jemand die Frage gekommen: Fehlt denn nicht etwas Wesentliches in der Formulierung: die Gottesmutterschaft?

Diese ist eine Form, eine Auswirkung, allerdings die vorzüglichste, der einzigartigen bräutlichen Mitgenossin und Helferin. Die vollendetste Tat der Mitwirkung beim Erlösungswerke hat die Gottesmutter geleistet bei der Menschwerdung. Darum verstehen wir, dass Scheeben stehen bleibt bei dem Ausdruck: bräutliche Gottesmutter oder gottesmütterliche Braut.

Auch wir wollen uns zunächst zwischen diesen beiden Ausdrücken, Braut und Mutter, bewegen, wenn wir versuchen,

1. den Personalcharakter der Gottesmutter als Sein darzustellen. Wir unterschieden ja den Personalcharakter als Sein und als Wirken und fanden den Personalcharakter als Sein vorzüglich in dem Ausdruck dargestellt: bräutliche Mitspielerin und Mitgenossin Christi. Wenn wir aber die Ausdrücke Braut und Mutter gebrauchen, wollen wir dabei nicht übersehen, dass die Mutterschaft nur eine Funktion, allerdings die wichtigste ihrer Mitwirkung ist. Nur der Einfachheit und leichteren Verständlichkeit halber möchte ich die Ausführung kreisen lassen um diese beiden Worte: Braut und Mutter.
Zuerst gehen wir von der Brautschaft aus, um von dort aus das Muttersein zu klären. Dann gehen wir vom Muttersein aus. um von dort aus die Brautschaft zu klären. Hinter allem aber müssen wir das Ringen spüren um Klärung der tiefen Zweieinheit zwischen Christus und seiner Mutter, zwischen Mutter und Kind. Das ist es auch, was wir wieder und wieder aus unserem MTA-Bild herauslesen müssen. Ist das aber nicht eine unüberwindliche, unüberbrückbare Gegensätzlichkeit: Mutter und Braut Gottes zugleich? Das gerade wäre hier zu klären.

a) Die Brautschaft der Gottesmutter.

Wir gehen vom Brautsein aus, weil das am deutlichsten in unserer Definition steht.
Ein wie vielfaches Brautsein mag es geben? Ein vierfaches. Wir bringen zu jedem Punkt: Klärung, Bewertung und Anwendung auf die Gottesmutter.

Erste Art des Brautseins: Braut im weitesten Sinne.

a) Klärung: Diese Brautschaft eignet der menschlichen Natur schlechthin: auch der ungetauften und derjenigen, die sich im Zustande der schweren Sünde befindet. Es ist ein Lieblingsgedanke der Väter: das Verbum Divinum[85] ist in das Brautgemach der Gottesmutter hinabgestiegen und hat sich dort eine menschliche Natur angeeint, um dadurch auszudrücken, dass es sich die ganze menschliche Natur aneinen wollte. Die ganze Menschheit soll also mit dem Sohne Hochzeit feiern. Die ganze menschliche Natur kann danach also Braut Christi genannt werden.

b) Bewertung: Wollen wir das Geheimnis in etwa verstehen, dann müssen wir von zwei Sätzen ausgehen: Bonum est diffusivum sui. Deus quaerit condiligentes se.[86]
 
Weshalb wollte denn die zweite Person in der Gottheit sich die menschliche Natur aneinen? Weshalb wollte der Sohn Gottes Mensch werden? Nur um selber Mensch zu sein? Nein, sondern wegen des unüberwindlichen Mitteilungswillens des dreifaltigen Gottes. Dieser möchte, wenn man so sagen darf, das Liebesmeer über die Ränder der Dreifaltigkeit hinüberfließen lassen in die Schöpfung. Eine göttliche Person hat deshalb, um in menschlicher Redeweise zu bleiben, den Rahmen gesprengt, hat sich eine menschliche Natur angeeint, um so ein unermeßliches, unerschöpfliches Gefäß der göttlichen Liebe sein zu können. Hier sollten wir betrachtend stehen bleiben. Wie klingen jetzt die beiden Sätze, wenn wir sie nochmals wiederholen: Bonum est diffusivum sui. Deus quaerit condiligentes se. Gott sucht, Gott schafft sich Wesen, die er lieben kann und die mit ihm lieben, was er liebt und wie er liebt. Dieser göttliche Liebesstrom sollte nicht stehen bleiben bei der menschlichen Natur des Gottmenschen; er sucht eine Fortsetzung durch Hineinziehung jeder menschlichen Natur in diese Verbindung.

c) Anwendung auf die Gottesmutter: Sie vertritt nach den Vätern bei der Verkündigung die ganze menschliche Gesellschaft. Hochzeit feiern will der Sohn mit der menschlichen Natur. Darum geht vorauf ein bräutliches Werben um das Ja-Wort: darum erscheint der Bote Gottes als Brautwerber. Er wirbt um das Ja-Wort der Jungfrau, die hier die Stelle der ganzen menschlichen Natur und Gesellschaft vertritt. Wenn schon jede menschliche Natur der Anlage und Bestimmung nach Braut Christi ist, dann ist die Gottesmutter die einzigartige, würdige Braut.

Zweite Art der Brautschaft: Braut im weiteren Sinne.

a) Klärung: Im Lichte des Glaubens werden alle begnadeten Seelen Bräute Christi genannt und sind es. Wir halten fest: Es ist Auffassung der Hl. Schrift und der Liturgie, dass jede begnadete Seele Braut des ewigen Gottes ist. „Despondi enim vos uni viro virginem castam exhibere Christo“[87] Die Kirche aber wird in diesem Sinne per eminentiam Braut genannt.

b) Bewertung: Wer heute persönlich stark leidet unter der Entwertung des Individuums und der Persönlichkeit, der sollte sich immer wieder an diese hohe Wahrheit erinnern, dass wir auch seinsgemäß Bräute Gottes sind und mit Recht genannt werden.

c) Anwendung auf die Gottesmutter: Wenn jede begnadete Seele Braut Gottes ist, wie viel mehr die Gottesmutter, die Gnadenvolle. Wenn die Kirche Braut Christi ist, wie viel mehr die Gottesmutter, die Urtyp der Kirche ist und ihr vornehmstes Glied. Ferner ist es Ansicht der Theologen aller Jahrhunderte, dass die Gottesmutter vorgebildet ist in Eva; dann muss auch Maria Braut Christi sein, wie Eva Braut Adams war.

Die Gottesmutter, die Gebenedeite unter den Frauen, ist nicht bloß schlechthin die Begnadete, sondern die einzigartig Begnadete. Schon bei der Empfängnis war sie begnadet wie kein anderes Geschöpf, wie kein Engel. Ihr Gnadenstand erfuhr weiteres Wachstum bei der Verkündigung, so dass viele der Meinung sind: Wenigstens von diesem Augenblick an war sie begnadet wie nicht alle Engel und Heiligen zusammen. So denkt der katholische Glaube von Maria: Sie ist eine Welt für sich, ein Globus für sich, ein Sternensystem für sich.

Dritte Art der Brautschaft: Im engsten Sinne.

a) Klärung: Im engsten Sinne des Wortes kann nur die menschliche Natur des Gottmenschen Braut genannt werden: Der fleischliche Keim, den das Verbum Divinum aus dem Schoße der Gottesmutter sich selber frei gewählt und sich angeeint hat zur göttlichen Person. Das ist eine Brautschaft, wie sie vollendeter nicht gedacht werden kann.

b) Bewertung: Hier müssen wir alles zusammentragen, was uns die Väter zu sagen wissen über das Et-Verbum-caro-factum-est[88]. Wie urgewaltig greift Gott in die Schöpfung ein! Welch ungemein große Ehrenrettung, Hochwertung, Erhebung in den Adelsstand für die gesamte menschliche Natur durch diese Vereinigung! Wer sich eine christliche Anthropologie erarbeiten will, muss hier lange stehen bleiben; betend, betrachtend stehen bleiben! Ich bin mitgeehrt: Jede menschliche Natur! Auch jede weibliche Natur.

c) Anwendung auf die Gottesmutter: Eine unio hypostatica, eine derartig tiefgreifende Hochzeit mit der göttlichen Person hat die Gottesmutter nicht eingehen können.

Vierte Art der Brautschaft: Im engen Sinne des Wortes.

Was bisher gesagt wurde, begegnet keiner Schwierigkeit. Gewiß auch so steht die Gottesmutter schon erhaben vor uns. Aber immer noch steht sie artgemäß auf unserer Linie, mag sie auch gradmäßig über uns stehen. Steht sie denn nicht auch artmäßig über uns?

a) Eine Behauptung: Die Gottesmutter ist in eigenartiger Weise Braut geworden im Augenblick ihrer Erzeugung, und zwar so tief, dass man mit Recht sprechen kann von einem Connubium Divinum[89]. Man beachte: Im Augenblick „ihrer“ Erzeugung, nicht der Erzeugung des Heilandes. Damals schon, in ihrer unbefleckten Empfängnis, ist sie Braut geworden des Ewigen Wortes.

b) Drei Beweise:
Der erste Beweis greift zurück auf die Gottesmutter als die große würdige Gegenspielerin Evas. Die zwei Quellen der Mariologie sind ja die Würde Evas und die Würde des neuen Hauptes der Menschheit, Christus. Wir überprüfen den Bericht der Genesis und finden: Eva ist nie gedacht gewesen als Einzelwesen, sondern gedacht und geschaffen als Genossin Adams. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Lasst uns ihm eine Gehilfin machen. die ihm gleich sei.“[90] Immer ist Eva in Zweieinheit mit Adam. So steht sie in Gottes Schöpfungsplan. Keine Sekunde hat sie ohne ihn existiert. Im Augenblick der Erschaffung wird sie mit Adam zu einem Menschenpaar. Zum Traualtar wird sie geführt in dem Augenblick, da sie aus der Rippe Adams gebildet wird. Darum sagt Adam: „Das ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Sie wird Männin genannt werden, denn vom Manne ist sie genommen.“[91]

Und weiter: „Deshalb wird der Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhängen, und sie werden zwei in einem Fleische sein.“[92] Diese wunderbare Zweieinheit ist von Gott von Ewigkeit her gedacht.

Wenden wir diesen Gedanken mutig an auf die zweite Eva. Die Anwendung ist nicht mehr zu kühn seit der Dogmatisierung der Immaculata Conceptio. So steht denn also auch die Gottesmutter vor uns, von Ewigkeit her hineingezogen in den Ratschluss, der die Menschwerdung des Sohnes Gottes bewirkte. Und Maria war von Anfang an gedacht und geschaffen als Genossin und Gehilfin Christi. Vom ersten Augenblicke ihrer Zeugung an steht sie da als die dem Ewigen Worte angeeinte Braut. Genau so wie Eva die Gehilfin und Braut Adams war.

Zur Vertiefung: Wir halten uns mit unserem Beweisgang an die Gedanken der alten Väter. Zunächst ist das natürlich bei ihnen noch sensus accomodativus[93]. Seit 1854[94] ist es aber mehr. Seitdem ist nach kirchlicher Lehre Eva ein Typus Mariens.

Was wir nun noch beifügen, ist aber nur sensus accomodativus: Eva ist aus der Rippe des schlafenden Adam gebildet worden. Woraus ist die Gottesmutter geworden? Aus dem Heiligen Geiste. So wird sie genannt Costa Spiritus Sancti[95]. Aus dem schlafenden Adam ward Eva gebildet. Wer hat der Gottesmutter diese Gnade verdient, solche Hochzeit einzugehen gleich beim Beginne ihres Lebens? Die Gottesmutterschaft ist eine Frucht des Erlösungstodes, des „schlafenden Adam am Kreuze“.

Der zweite Beweis greift zurück auf das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis. Die Gottesmutter war schon im ersten Augenblick der Zeugung begnadigt, d. h. das Verbum Divinum hat sie im ersten Augenblick ihrer Empfängnis sich bräutlich angeeint; er hat sie total dem irdischen Gebrauche entzogen und in wundersam tiefer Weise sich angeeint. Es war ein matrimonium ratum[96] zwischen der Gottesmutter und der Gottheit.

Der dritte Beweis ist mehr ein Schicklichkeitsbeweis. Halten wir es nicht für selbstverständlich, dass Gott dafür sorgen musste, dass der Gottmensch ehrenwert zur Welt kam? Und das wäre nicht der Fall gewesen, wenn nicht ein echtes wahres Connubium, eine Vermählung voran ging. Diese kann in keinem anderen Augenblick stattgefunden haben als in dem Augenblick der Unbefleckten Empfängnis. Da findet eine göttliche, eigenartig tiefgreifende Vermählung statt.

Und diese ist hingeordnet auf die Mutterschaft. Virtualiter[97] ist mit der Gnade der Vermählung auch schon die Gnade der Mutterschaft gegeben.

Was ist nun metaphysisch das Primäre, die Unbefleckte Empfängnis oder die Gnade der Brautschaft und Mutterschaft? Die Gnade der Brautschaft und Mutterschaft, um derentwillen dann die Unbefleckte Empfängnis gegeben wurde.

Das Matrimonium ratum wird zum Matrimonium consummatum[98] bei der Verkündigung. Im Augenblick der Zeugung des Verbum Incarnatum[99] hat die Gottesmutter freigewählt und freigewollt den mütterlichen fleischlichen Keim angeboten. Und das Verbum Divinum hat sich herabgelassen, sich eingesenkt in diesen Keim. Von wem hat denn nun der Sohn Gottes diesen mütterlichen Keim geholt? Von Maria, aus dem mütterlichen Schoße der Gottesmutter. Hier ist also eine Vollendung der Ehe gefeiert worden. Das Verbum Divinum und die Gottesmutter haben miteinander den Gottmenschen gezeugt. Wie tief muss nun die menschliche Persönlichkeit, die so freigewählt und freigewollt den mütterlichen Keim angeboten hat, womit sich das Verbum Divinum vereinigte, mit diesem Verbum Divinum verbunden sein!

Ein Wortspiel: Und das Wort ist Fleisch geworden. Vom selben Augenblick gilt: Die Gottesbraut ist Gottesgebärerin geworden.

Wo sonst ein Kind erzeugt wird, wird es in den Mutterschoß hineingesenkt. Hier wird es im selben Augenblick wundersam tief hineingesenkt und angeeint dem Verbum Divinum. Darum ist die Gottesmutter erstens das Brautgemach, thalamus. Wie hören wir jetzt voll klingen „Und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes.“[100] „Selig der Leib, der Dich getragen!“[101] Die Gottesmutter ist zweitens die Brautführerin. Sie führt den mütterlichen Keim zum Bräutigam.

Wie können wir diese engere Zweieinheit, diese Verknüpfung des Verbum Divinum mit der Gottesmutter verstehen? Es gibt eine unio iuridica, unio quasi-physica, unio hypostatica, auch eine unio quasi-hypostatica[102]; eine Brautschaft im weitesten, im weiteren, im engsten und im engen Sinne. Der Ausdruck unio quasi-hypostatica ist gewagt. Er bedarf der Erklärung schon deswegen, weil „quasi“ nichts Bestimmtes aussagt, ein Flickwort ist. Er soll sagen: Die Vereinigung ist so eng, wie sie zwischen einer geschöpflichen Persönlichkeit und dem Verbum Divinum nur möglich ist.

Von hier aus verstehen wir erst das Wort des hl. Bonaventura: Gott konnte wohl eine größere Welt, er konnte sich aber keine größere Mutter schaffen. Worin liegt der Grund? In dieser innigen Verbindung. Sie ist eben so innig, dass sie inniger überhaupt nicht gedacht werden kann. Wenn wir also sonst den Schöpfungsoptimismus ablehnen, dann doch nicht diesen Optimismus.

Jetzt verstehen wir auch viel besser das apokalyptische Bild: Die Frau mit der Sonne umkleidet. Wir dürfen hier an den Mutterschoß denken. Die Gottesmutter steht vor uns als der beispiellose Abglanz des ewigen Gottes und des Gottmenschen. Wie tiefgreifend sind doch beide eins.

In dem Augenblick, wo die Gottesmutter mit dem Verbum Divinum ein matrimonium consummatum eingegangen ist, hat sie auch gleichzeitig mit dem Verbum Divinum incarnatum Hochzeit gefeiert. Verstehen wir nun, wie das Wunder Wirklichkeit geworden, dass sie gleichzeitig Gottesmutter und Gottesbraut sein konnte? Das sollten wir selbständig durchdenken.

Zum Schluss denken wir wiederum an den Besuch der Gottesmutter bei Elisabeth. Die Gottesmutter grüßte. Da wurde Elisabeth vom Heiligen Geiste erfüllt, und dann ahnte sie die Geheimnisse. So müssen wir zur Gottesmutter gehen und beten, damit wir ein wenig ahnen und verstehen lernen. Auch wir werden dann vermutlich sagen dürfen: Wie kommt mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Wie kommt es, dass dieses Geheimnis uns anvertraut ist?
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[75] Grundsätzlich, ganz allgemein 
[76] Die beispielhafte Uridee, das Muster eines Menschen, wie sie in in Gottes Denken von Ewigkeit existiert. 
[77] In hervorragender Weise 
[78] Matthias Josef Scheeben (1835-1888), bedeutender Kölner Dogmatiker, auf dessen Dogmatik und Mariologie sich P. Kentenich wiederholt bezieht. 
[79] Der griechische Wortsinn: Unterlage, Substanz, Erscheinungsform. 
In der Theologie ist „hypostatische Union“ der Fachausdruck, der bezeichnet, dass sich die menschliche Natur wesentlich mit der göttlichen Person Christi vereinigt hat, so dass Gott in ihr erschienen ist. Die Anwendung des Begriffs auf die Gottesmutter wird im Text selbst erklärt. 
[80] Ein Akt der göttlichen Vorherbestimmung. 
[81] Der Unbefleckten Empfängnis 
[82] Voll der Gnade 
[83] Die offensichtliche Bedeutung. In diesem Zusammenhang eher „vordergründige Bedeutung“ 
[84] Gemeint ist: das passt nicht, das ist nicht angemessen (non congruit, non decet). 
[85] Das Göttliche Wort 
[86] Das Gute verströmt sich, weitet sich aus. – Gott sucht die, die ihn und mit ihm lieben. 
[87] 2 Kor. 11,2: Ich habe euch einem einzigen Mann verlobt, um euch als reine Jungfrau zu Christus zu führen. 
[88] Joh. 1,14: Und das Wort ist Fleisch geworden 
[89] Eheliche Vereinigung mit Gott 
[90] Gen. 2,18 
[91] Gen. 2,23 
[92] Gen. 2,24 
[93] In der Interpretation der Bibel, insbesonderes des AT, unterscheidet die Exegese einen mehrfachen Schriftsinn: den Wortsinn (sensus literalis), den allegorischen, den typologischen, den anagogischen Schriftsinn. Der sensus accomodativus (accomodatitius) basiert auf dem Versuch, eine Entsprechung zwischen AT und NT herzustellen. Er entspricht dem allegorischen und typologischen Schriftsinn. 
[94] Das Jahr der Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis Mariens 
[95] Eva wurde (bildlich ausgedrückt) aus der Seite (costa) des schlafenden Adam gebildet, analog Maria aus der Seite des Heiligen Geistes. Die Beziehung zwischen der Seite des schlafenden Adam und der durchbohrten Seite des sterbenden Heilands ist ein Bild, das sich bei den Vätern häufig findet. 
[96] Eheschluss 
[97] virtualiter: der Kraft oder der Möglichkeit nach 
[98] Ehevollzug 
[99] Zeugung des Fleisch gewordenen Wortes 
[100] Lk. 1,42 
[101] Lk. 11,27 
[102] Eine rechtliche, eine gleichsam physische, eine hypostatische und eine gleichsam hypostatische Einheit 

 

 

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