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Donnerstag 28.03.2024, 13:32 Uhr
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KR-2 DE Kopf Text



42. Erkenntnisquellen: Zeit, Seele, Sein



Im Vorsehungsglauben steckt nicht nur die Frage, wie wir im konkreten Alltag den Willen Gottes erkennen können. Der Vorsehungsglaube wirft auch die Frage auf, wohin Gott mit uns mit der ganzen Menschheit zielt, was er für uns vorsieht, was der Sinn unseres Lebens ist.
Der vorliegende Text rundet unsere Sammlung über den Vorsehungsglauben in dreifacher Hinsicht ab.
Erstens zeigt er das letzte Ziel der göttlichen Vorsehung auf: Heimholung aller Menschen zu ihm. Gott ist alles in allem.
Zweitens macht er den Unterschied deutlich zwischen dem universellen und dem personalen Heilsplan Gottes und bezieht beide aufeinander.
Drittens stellt er die Verbindung her zwischen unserer gängigen Lehre der Erkenntnisquellen des Willens Gottes und ihrer Verwurzelung in der Offenbarung.

Der Text ist entnommen einer Predigt Pater Kentenichs vom 18.3.1967, seinem Namenstag (J. Kentenich, Propheta locutus est. Vorträge und Ansprachen von P.J. Kentenich aus seinen drei letzten Lebensjahren. Band XIV: 1967, Berg Sion 1999, 165-188).





I. Was ist denn der Wille Gottes?

Vielleicht fragen Sie mich, weshalb ich überhaupt den Gegenstand am heutigen Tag so gewählt habe. Die Antwort gebe ich Ihnen gleich. Im Allgemeinen sind wir weiteste Strecken unseres Lebens sehr engherzig und engbrüstig eingestellt. Wenn wir nach dem göttlichen Willen fragen, dann ist gemeiniglich die Frage so gemeint: Was ist der göttlicher Wille für mich?

Was ist denn der göttliche Wille? Das ist die Durchführung der Heilspläne des ewigen Vatergottes. Und innerhalb dieser Heilspläne kann man unterscheiden zwischen universellen Heilsplänen und individuellen oder personalen.

Für gewöhnlich bleiben wir hängen bei den persönlichen Heilsplänen. Wenn wir Adlerflüge wagen hinein ins Herz und den Willen Gottes, dann ist uns die Frage sehr ernst. Wenn wir das aber noch nicht getan haben, dann sind wir sehr schnell erschrocken.

Was ist der Sinn meines meines persönlichen Lebens? Ums Himmels willen! Herrgott, bleib mir nur ja weg! Mich nur nicht so stark berühren, etwas von mir erwarten und verlangen! So, meine ich, wäre das bei uns ja wohl nicht. Denn unser ganzes Leben als Kinder der Familie ist ja allesamt eingestellt auf ein Ja, auf ein Erforschen und Durchführen der Pläne Gottes.

Ich sage noch einmal, wir können unterscheiden zwischen universellen und individuellen Heilsplänen . Wir müssen uns mit beiden Arten auseinandersetzen. Am meisten liegt mir die Darstellung der universellen Heilspläne am Herzen. Denn das muss ja unsere Aufgabe sein. Die personalen Pläne, die der liebe Gott von mir hat, wollen immer hineingezogen sein in die universellen Heilspläne. Und hier mag wohl eine gewisse Schwäche unseres Denkens, Liebens und Lebens stecken.

Universelle Heilspläne.

Gott will, so haben wir früher in der Dogmatik gelernt, dass alle Menschen selig werden, dass alle Menschen heilig werden.

Wenn wir einen Augenblick in die Schule des heiligen Apostels Paulus gehen und den ersten Brief an die Korinther oder den Brief an die Epheser aufschlagen, dann erhalten wir eine Antwort, die uns an Ideen­gänge erinnert, die heute von dem Jesuiten Teilhard de Chardin vertreten werden. Allerdings in anderer Art, als die Tradition sie aufgefasst hat.

Im ersten Korintherbrief versetzt Paulus sich in die Endstation des Weltgeschehens. Und was ist dann der Sinn des Weltgeschehens und der Weltgeschichte? Für ihn ist Weltgeschichte immer Heilsgeschichte, genau wie für uns. In der letzte Etappe ist „Gott alles in allem“[184] und alles in allen.

Was soll also der lebendige Gott werden? Alles in allem, Gott alles in allen? Was heißt „alles in allem“? Im ganzen Weltgeschehen! Ob es sich um Dinge handelt, Gegenstände, Ereignisse, Menschen handelt: alles in allem! Gott ist dann alles in allem und alles in allen. Was ist dann der Sinn meines Lebens? Dafür zu sorgen, dass dieser allgemeine Heilsplan möglichst vollkommen verwirklicht wird. Was besagt das im Einzelnen?

Wenn wir den Brief an die Epheser aufschlagen, bekommen wir eine sehr klare, wenn auch geheimnisreiche Antwort. Der Apostel kann sich nicht genug freuen über die Tatsache, dass der ewige Vatergott seine universellen Heilspläne nunmehr entschleiert hat. Worin bestehen sie? Alle Menschen sollen heilig werden. Sie sollen geöffnet werden für den lebendigen Gott, sollen sich Gott ganz ausliefern.
Das reicht aber noch nicht. Der Gedankengang geht ungemein tief.

Wir wollen zuerst zusammenfassen, was Paulus meint. Damit nun die ganze Menschheit heilig wird - hören wir: alle sollen heilig werden! - deswegen hat der ewige Vatergott seinen eingeborenen Sohn als der Welten Erlöser und der Welten Prophet gesandt. Als Weltenerlöser sorgt er dafür, dass alle Menschen seine Glieder, dass alle Menschen Kinder des Vaters werden. Als der große Prophet, der große Lehrer der Wahrheit, ist seine Aufgabe darin zu sehen, dass im Heiligen Geiste die ganze Welt hineinkommt in das Reich der Wahrheit. Und die Kirche, der erweiterte geheimnisvolle Leib des Heilandes, hat die Aufgabe, die Welt so zu führen und zu regieren, dass in und durch die Kirche ein großes Vaterreich werde, in dem der Vater Jahr für Jahr, Jahrhundert um Jahrhundert, mehr und mehr den Sieg davontrage.

Man liest aus dem Text heraus, wie Paulus erstaunt ist, wie ihm das fast den Atem verschlägt, dass Gott seinen geheimnisvollen Plan mitgeteilt hat: Alles, radikal alles und alle sollen in Christus als dem Haupt geeint werden![185]

Wir haben dafür früher gesagt - wie wir ja überhaupt klug daran tun, aus dem Atem der heutigen Familiengeschichte in die vergangene Geschichte zurückzuschauen - der Sinn unserer Familie ist Marianische Christusgestaltung der Welt von Schönstatt aus! Es geht hier wahrhaftig nicht darum, ein abstraktes Programm zu verkünden. Das große Gottesgeheimnis, das Paulus eröffnet wird war eine unausgesetzte Gegenwart und Wirksamkeit Gottes im Weltenraum, in der Kreatur! Der ungemein wichtige und wuchtige Gedanke dieses Heilsgeheimnisses besagt, dass wir den lebendigen Gott nicht getrennt wissen von der Schöpfung. Das war ja die große Tragik der modernen Menschheit, als sie anfing, Gott von der Schöpfung zu trennen.
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Unsere Theologen beschäftigen sich heute mit der Krise wegen der Sakramente. Natürlich, wenn ich die Sakramente nur auffasse als ein äußeres Geschehen, dann mag das lästig sein. Wozu Sakramente spenden? Wenn ich aber weiß, durch die Sakramente wird Christus gegenwärtig gesetzt, dann werden die Sakramente entsachlicht, sie werden verpersönlicht. Christus in seiner Person kommt hinein in den, der das Sakrament empfängt. Gegenwärtigsetzung!

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Wir beten ja auch: „Alles sei dein Reich / dir, dem Haupte, gleich.“ Wie sieht also der universelle Heilswille aus? Es geht darum, dass der Gott, der am Ende der Zeiten alles in allem und alles in allen ist, das heute schon wird. Darin besteht die Aufgabe! Und zwar nicht so, dass das nur bei mir Wirklichkeit wird. Die Zeit des Individualismus hat Geist und Herz nach allen Richtungen in einem Ausmaße eingeengt, dass scheinbar wir alle nur da sind, um unsere eigene Seele zu retten. Wir sind eingegliedert in den universellen Heilsplan Gottes! Das große Drama der Heilsgeschichte ist ein universelles. Und wir müssen Blick und Herz weiten, uns sehen als Glied im Raume der Kirche und dadurch auch gleichzeitig im Raume der Welt.

Individuelle Heilspläne.
Wenn wir nun an uns selber denken, dann dürfen wir wiederum nicht bei uns stehen bleiben. Den Blick weiten, die Brust weiten, das Herz weiten! Die ganze Welt sehen! Zumal die Welt, wie sie heute gärt: eine Welt auf der Christusflucht, auf der Gottesflucht.

Und wofür sind wir da? Gott soll gegenwärtig gesetzt werden in dieser Welt, überall, in allen Religionen. Wir müssen uns deswegen vor zwei Irrgängen hüten: unsere eigene persönliche Sendung nicht überbewerten, aber auch nicht unterbewerten. Nicht überbewerten - will heißen: uns nie getrennt sehen von dem universellen Heilsplan. In dieses Drama der Welt- und Heilsgeschichte ist auch jeder einzelne hineingezogen und -bezogen. Ich bin also auch da, um Christus gegenwärtigzusetzen. Und davon nicht bloß mit dem Munde begeistert sprechen. Er muss in mir gegenwärtig gesetzt werden. Aber das ist ja nur ein kleiner Bruchteil des urgewaltigen Dramas. Also mich jetzt nicht so in den Vordergrund rücken, als gäbe es letzten Endes keinen universellen Heilswillen. Ich bin eingegliedert in diesen universellen Heilswillen. Ich stehe nicht allein. Meine Aufgabe wird also darin bestehen, meine Beziehung zur heilsfähigen und heilssehnsüchtigen Welt immer wieder innezuwerden.

Wir sind von Anfang an sehr stark darauf eingestellt gewesen, die Enge des Individuellen zu brechen. Deswegen unsere Kurse, deswegen die große Gesamtfamilie, deswegen die dreifache gewaltige Zielsetzung! Alles drängt hinaus und hinein in die Weite, wie der Herrgott sie vorgesehen hat, wie das Gottesgeheimnis von Menschheit, Schöpfung und Weltregierung sie uns darstellen.

Was wir also tun müssen, mehr noch als bisher? Heraus aus der Klause des Individualismus! Heraus aus dem ständigen Kratzen an uns selber! Heraus aus dem ständigen Kreisen um das kleine Ich! Hinein in die Weite! „Die ganze Welt ist unser Feld!“ Gewiss, Schönstatt soll meine Welt sein; meine Welt soll aber auch Schönstatt werden. Der universelle Heilswille Gottes muss bei uns auf denselben universellen Heilswillen treffen.

Deswegen wollen wir uns nicht überschätzen, uns nur als ein Rädchen auffassen in dem großen Drama der Weltgeschichte und Welterlösung.

Auf der anderen Seite aber auch nicht unterschätzen. Es ist nicht so, als käme nichts darauf an, was ich tue. Umgekehrt, die Geschichte des Heils der Welt hängt wesentlich mit ab von der Geschichte meines eigenen Heilsgeschehens.

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Ich transponiere ein Wort des heiligen Ignatius: Wir müssen so vertrauen, als gäbe es keinen eigenen Willen, aber auch so kraftvoll wollen, als gäbe es keinen Gott, der mithilft.

So auch hier: Wir müssen so kraftvoll leben, als gäbe es keinen allgemeinen Heilswillen, sondern nur einen persönlichen. Aber auf der anderen Seite auch wiederum so ruhig und beseelt bleiben, als gäbe es nur einen allgemeinen Heilswillen und nicht auch einen persönlichen.

Was sagen wir also, wenn wir beten: Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden? Wir sagen ein Ja zum universellen, aber auch zum personalen Heilswillen.

Nun die zweite Frage:

 II. Wie erkennen wir denn nun im Einzelnen den Heilswillen?

Hier möchte ich mich nunmehr beschränken auf den individuellen Heilswillen. Wir würden jetzt wohl in unserer schönstättischen Sprache fragen: Woran erkenne ich mein Persönliches Ideal? Das Persönliche Ideal ist ja die Idee, die der liebe Gott von Ewigkeit von mir hat. Wie erkenne ich sie?

Zunächst eine negative Antwort: Keineswegs durch eine besondere Offenbarung! Es gibt ja nicht wenige Menschen, die gerne bereit sind zu sagen: ja wenn ich sicher wüsste, was der liebe Gott von mir verlangt, wäre ich zu allem bereit.

Eine besondere Offenbarung mögen wir unterscheiden von der allgemeinen Offenbarung. Gewiss gibt es Menschen, denen eine besondere Offenbarung geschenkt wurde. Wir gehören nicht dazu. Wir sind durchweg abhängig von der allgemeinen Offenbarung. Und das ist die Offenbarung in Christus Jesus.

Einmal angenommen, wir würden den lieben Gott um eine besondere Offenbarung bitten wie seinerzeit die Pharisäer und Schriftgelehrten: „Was muss ich nun tun, um das ewige Leben zu erlangen?“
[186]. Antwort: Halte dich an die allgemeine Offenbarung! „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben“ usw., usw.

Wenn ich also den lieben Gott fragen würde: Lieber Gott, was willst du denn nun von mir?, ich glaube, die erste Antwort würde heißen: Alles, was ich der Menschheit offenbaren wollte, das habe ich bereits gekündet durch den eingeborenen Gottessohn. Schau doch hinein in das Leben des Gottmenschen, da habe ich ja alles gesagt, was ich der Welt sagen will. „Verbum caro factum est, das Wort ist Fleisch geworden“
[187].

Worin besteht nun meine persönliche Sendung? Darin, dass ich die allgemeine Sendung des Gottmenschen zu meiner persönlichen mache. Hinein deswegen in das Studium des Lebens Christi! In allen Situationen will und soll ich ihn nachahmen!

Die positive Antwort: Wir haben das Persönliche Ideal auch theologisch definiert: Ich bin ein individuelles und originelles Glied am Leibe Christi! Also nicht nur irgendein Glied, sondern ein lebendiges, individuelles und originelles Glied am Leibe Christi soll ich werden.

Damit stehen wir nun wieder vor der Frage: Wie kann ich aber dieses Originelle wahrnehmen? Nachdem wir also zunächst die allgemeine Offenbarung befragt, nachdem wir uns in gewissem Sinne gleich­geschaltet und eingeschaltet haben der universellen Heilstat, nun die Frage: Wie kann ich denn auf dem gewöhnlichen Wege erkennen, was ich am Leibe Christi in konkrete individueller Weise zu verkörpern habe?

Ich will nur drei Worte sagen und Sie dann bitten, sie genauer durchzudenken. Was muss ich befragen? Die Zeit, die Seele, das Sein. Ich muss also an diese drei Adressaten meine Frage richten.

Was verlangt die Zeit von mir? Es ist Johannes XXIII., der einmal das schöne Wort geprägt hat: Vieles, was in der Heiligen Schrift steht, ist und bleibt geheimnisvoll. Wollen wir es richtig deuten, dann müssen wir die Zeit fragen. Was will das heißen? Der liebe Gott spricht auch durch die Zeit, durch die Zeitlage. Ein geistreicher Franzose hat das Wort geprägt: Zeitströmungen sind Lehrmeister. Über was belehrt uns denn die Zeit? Über das, was der liebe Gott durch die Zeit von mir verlangt. Wie viele Menschen sind groß oder klein geblieben, weil sie in der oder jener Zeit geboren waren. Wie viele Männer, Frauen sind groß geworden, weil die Zeit sie nach oben gedrängt hat, weil sie die Zeitströmungen verstanden und die rechte Antwort darauf gegeben haben.

Zweitens: wir befragen die Seele. Das heißt: Wir befragen die individuellen Anregungen des Heiligen Geistes. Ein alter, weiser Theologe aus dem vierten Jahrhundert hat einmal das schöne Wort geprägt: Was in der Seele des Christen, sofern er Christ ist, vor sich geht, ist das Atmen des Heiligen Geistes.
Damit berühren wir Sachverhalte, die der heutige Mensch kaum mehr beachtet: die Unterscheidung der Geister. Der Heilige Geist spricht in unserer Seele mit unaussprechlichen Seufzern
[188]. Das will praktisch sagen: Wenn wir auf das hören, was der liebe Gott in uns spricht, dann gilt oft: Das Gebet weiß, was der liebe Gott von uns will, ehe wir es wissen. Im Gebet erhalten wir vielfach solche Anregungen, ahnen intuitiv Zusammenhänge, Absichten Gottes, die wir nur langsam ins volle Bewusstsein kommen lassen können.

Darum noch einmal: Eingehen auf die Einsprechungen des lebendigen Gottes! Nicht immer wieder springen wie ein Eichhörnchen von einem Ast zum andern! Stehen bleiben! Bei all dem stehen bleiben, was der liebe Gott in uns spricht, von uns erwartet und verlangt.

Und endlich: die dritte Erkenntnisquelle, aus der wir unser Wissen schöpfen können, ist unsere Seinsstruktur. Unser Sein ist nicht etwas rein Persönliches, Subjektives. Es ist ja auch vom lieben Gott geschaffen. Und je nachdem, wie mein Sein konstituiert ist, ob ich Mann oder Frau bin, so oder so geartet bin, ist das alles Erkenntnisquelle. So erkennen wir auf der ganzen Linie wieder und wieder, klarer und tiefer, was der liebe Gott von uns will.
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Schönstatt-Lexikon Online: Erkenntnisquellen, Sein, Zeitenstimmen, Seele
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[184] 1 Kor 15,28. 
[185] Vgl. Eph 1, 10.22; 2, 15; 4, 13-15; 5, 23. 
[186] Mt 19,16 par 
[187] Joh 1,14 
[188] (Röm 8,26) 

 

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