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Haus Moriah Josef-Kentenich-Institut Radio Horeb - Dr. Wolf

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"In seinem Herzen ein Feuer"

Zum 100. Jahrestag der Priesterweihe von Pater Josef Kentenich
Sendung auf Radio Horeb - 15. September 2010
Dr. Peter Wolf

 

 "In seinem Herzen ein Feuer" - P. Josef Kentenich
(Audio - Link zu Radio Horeb)

Vortragstext als pdf-Datei

 

 Liebe Hörerinnen und Hörer,

herzlichen Dank für die Begrüßung. Ich freue mich sehr über die Einladung, heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Es ist der Sterbetag von Pater Josef Kentenich, den wir heute im Nachklang des Priesterjahres und des 100. Jahrestages seiner Priesterweihe begehen.  Gerne schaue ich mit Ihnen zusammen an diesem Tag bewusst auf Pater Josef Kentenich und sein Priestertum. Das Priesterjahr, zu dem der Heilige Vater uns eingeladen hat, ist für die weltweite Schönstattbewegung geradezu zu einem  Vorbereitungsjahr auf das 100jährige Jubiläum der Priesterweihe des Gründers geworden.

Ich habe mir  vorgenommen, heute sein Leben als die Biographie eines Priesters vorzustellen, in dessen Herzen ein Feuer gebrannt hat. Es ist der Titel einer bekannten Biographie über unseren Gründer. Ich möchte Ihnen sein Leben erzählen als die Geschichte eines Priesters in seinem ganz persönlichen Weg zum Priestertum und in seiner durchaus bemerkenswerten Weise, das Priestertum zu verstehen und zu verwirklichen.

Schon früh meldet sich in dem kleinen Josef der Wunsch, einmal Priester zu werden. Die früheste Äußerung dieses kindlichen Wunsches kenne ich aus einem Gespräch mit P. Brath. Er war dabei, als Pater Kentenich erstmals im Dezember 1961 das Bewegungshaus in Milwaukee besuchte und dort die Stufe im Erker des großen Zimmers in unserem Gründer spontan eine Kindheitserinnerung auslöste. P. Brath berichtet, wie Josef Kentenich auf dieser Stufe stand und sie vor ihm, als er anfing zu erzählen: „Wie Sie so jetzt vor mir sind, kommt mir die Erinnerung aus meiner Kindheit. Wir Kinder haben gespielt. Wenn ich einmal groß bin, werde ich Pastor. …. Dann werde ich predigen. Ich weiß schon ‚Andächtige Zuhörer’ und ‚Amen’. Was dazwischen kommt, muss ich noch lernen.“

Später am Tag der ersten heiligen Kommunion am 25.4.1897 äußert er diesen Wunsch gegenüber seiner Mutter, die darauf sagt, “Junge, dann müssen wir ganz viel beten.“[1]. In einem Gedicht des Fünfzehnjährigen mit der Überschrift: „Die Macht der Liebe“ finden sich mehrere Strophen, die sich auf die Berufung zum Priestertum beziehen[2]. Das Gedicht ist abgedruckt in „Die verborgenen Jahre“ von Sr. Doria Schlickmann. Dieses Gedicht, das um Ostern 1900 geschrieben ist, zeigt seine innere Not: Wird seine Mutter dem zustimmen, was er als Ruf spürt? Er möchte lieber sterben, als diesen Beruf zu verfehlen. Es ist ein bewegendes  Zeugnis! Der Junge muss sehr früh wahrnehmen, dass es für ihn ein Hindernis gibt, den Priesterberuf zu erreichen. Dies war wohl auch die Not seiner Mutter. Es war das Hindernis, dass er ein uneheliches Kind ist und dass damals so jemand einfach nicht geweiht wurde, auf jeden Fall nicht zum Diözesanpriester geweiht wurde. Diese Umstände führen über Gespräche mit dem Beichtvater seiner Mutter auf den Weg hin zu den Pallottinern.

Es folgen die Jahre in Ehrenbreitstein und das Noviziat samt Theologiestudium bei den Pallottinern in Limburg. Ich bin froh, dass wir durch Studien von Dr. P. Herbert King und durch die Veröffentlichung von Schwester Dr. Doria Schlickmann immer mehr Einblick erhalten in diese Jahre der Ausbildung und des Studiums. Josef ist ein begabter junger Student und für seine Professoren kein alltäglicher Kandidat. So kommt es zu Spannungen und Auseinandersetzungen mit seinen Professoren und Oberen. Die endgültige Zulassung zur Profess wird ihm zunächst verweigert, was in der Folge auch den Ausschluss von der Priesterweihe für ihn bedeutet hätte. Denn wenn er hier nicht ankommt, hätte ihn damals keine andere Gemeinschaft und erst recht kein Regens und Bischof in einem Diözesanenseminar aufgenommen. Durch die Vermittlung von P. Kolb und dessen Antrag auf eine erneute Abstimmung kommt es doch noch zur Zulassung zur Profess.

Die Priesterweihe empfing Pater Kentenich am 8. Juli 1910 aus den Händen eines pallottinischen Missionsbischofs. Heinrich Vieter war sein Name. Er hat unseren Gründer in der Hauskapelle des großen Missionshauses der Pallottiner in Limburg[3] geweiht. Insgesamt waren es acht Weihekandidaten, die nicht im Dom sondern im eigenen Haus geweiht werden sollten. In der gleichen Kapelle, die heute ein Mehrfunktionsraum ist, feierte der junge Neupriester am 10. Juli seine Primiz, bei der sein Provinzial P. Michael Kolb assistierte und P. Karl Stehr die Primizpredigt hielt.

An seine Primiz erinnert bis heute ein Holzkreuz, das seine Mutter ihm geschenkt hat. Es ist ein sehr ansprechendes Kreuz, das im Pater Kentenich-Haus zu sehen. Auch die kleinen Primizbildchen sind dort zu finden. Sie entsprechen vielleicht nicht mehr unserem Geschmack. Umso mehr beeindruckt das Wort, das der Neupriester damals als Primizspruch gewählt hat: „Verleihe, o mein Gott, dass alle Geister in der Wahrheit und alle Herzen in der Liebe sich einigen.“[4] Ein Wort, das ihn offensichtlich sein Leben hindurch begleitet, das man auf jeden Fall mit dem Einsatz seines priesterlichen Lebens zusammen denken und zusammen bringen kann. Eine Nachprimiz wird auch für seine Heimatgemeinde Gymnich berichtet. Fand aber erst einige Wochen später statt.

Mich hat interessiert, wo unser Gründer zunächst als junger Priester eingesetzt war und wie wir uns seine „Kaplanszeit“ vorstellen dürfen. Die ersten Monate nach der Priesterweihe verbringt der Neupriester Josef Kentenich zunächst im Missionshaus der Pallottiner in Limburg, später wird er in die Kommunität von Ehrenbreitstein versetzt. Ab Herbst 1911 hat er den Auftrag, am dortigen Gymnasium der Pallottiner zu unterrichten. Von Anfang an ist er an den Wochenenden in den umliegenden Pfarreien im Einsatz: samstags um Beichte zu hören und sonntags um die  Eucharistie mit der Gemeinde zu feiern und zu predigen. Wiederholt ist er im Einsatz bis hinauf nach Hermeskeil im Hunsrück. Auch die katholische Kirche in Diez an der Lahn und die Stadtkirche von Limburg unterhalb des Domes sind als solche Orte seines Einsatzes belegt. Er hat Vertretungen in Sayn, in Rheinbrohl und in verschiedenen Kirchen der Stadt Koblenz. Aus dieser Zeit stammen seine ersten Predigten[5], die zeigen, wie er seinen Zuhörern den Glauben erschließt und wie er bereits damals ganz aktuelle Anliegen der Kirche, der Päpste sofort hineinträgt in die Gemeinden und sie aufgreift und thematisiert. Diese frühen Predigten sind gut dokumentiert und von Pater Monnerjahn vor zwanzig Jahren herausgegeben. Darin habe ich übrigens auch die Orte gefunden, wo der junge Neupriester im Einsatz war.

Die neue Aufgabe in Schönstatt

Im September 1912 wird P. Kentenich nach Schönstatt versetzt und im Oktober zum Spiritual für das Studienheim der Pallottiner ernannt, das noch gar nicht lange errichtet war. Es wird die Aufgabe sein, in der sein priesterliches Wirken sich zu der ihm eigenen Form entfaltet und ausprägt. Es ist eine Zeit des Umbruchs im Studienheim und zwei seiner Vorgänger hatten aufgegeben. Der neue Spiritual versucht einen Weg des Vertrauens und der Freiheit. Er weckt Eigentätigkeit und Mitverantwortung gerade auch im Bereich des geistlichen Lebens. Der neue Spiritual stellt seinen jungen Gymnasiasten nicht alles vor, als sei es längst entschieden und müsste immer so laufen. Er setzt nicht auf vorgegebene Regeln und festgelegte Formen. Mit der Gründung zunächst eines Missionsvereins und später einer Marianischen Kongregation zusammen mit den jungen Leuten schafft er einen Raum, in dem Eigeninitiative und Freiheit überhaupt erst möglich wurden. So mussten die jungen Leute nicht den Eindruck haben, es sei alles längst geplant und entschieden.

Sein priesterliches Wirken spielt sich ab in Vorträgen und in unzähligen Einzelgesprächen. Schon hier fängt an, was sein künftiges Leben prägen wird. Er feiert jeden Tag die Eucharistie. Das ist keine Frage. Doch darin erschöpft sich nicht sein priesterlicher Dienst. Er zeigt Interesse und investiert Vertrauen. Er hört zu und macht Mut. Er zeigt Freude an der Eigenart und Originalität der Einzelnen, kann sie betonen, kann sie fördern. So wachsen Bindungen und ein neues Miteinander um ihn herum.

Die jungen Leute, für die er den Auftrag als Spiritual hat, sind durchweg Schüler der Pallottiner, die Interesse haben, einmal Priester und Missionare zu werden, Missionare in Afrika, konkret in Kamerun. Ich habe schöne Aufnahmen  gesehen, wie sie sich immer wieder auch bei ihren Festen mit Missionaren fotografieren ließen. Man  entdeckt auf den Fotos auch Kinder und Jugendliche aus Afrika. Auch Personal für ihr Haus haben sie sich aus der Mission mitgebracht, so dass in ihrem Haus so etwas wie eine Missionsatmosphäre entstehen konnte. Der junge Spiritual versteht die jungen Leute zu gewinnen, an ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten, damit sie später wirklich einmal etwas leisten können und einmal gute Missionare werden. Ein Beispiel, wie der junge Spiritual dies gemacht hat, ist für mich ein Vortrag der Textsammlung zum Paulusjahr[6]. Hier kann man studieren, wie er sie begeistern konnte für diesen großen Missionar und sie aufgeschlossen hat für dessen Einstellung und Methode. Weiter hat er seine Jugendlichen zur Gottesmutter geführt. Dabei macht er die Erfahrung, dass über die Liebe zur Gottesmutter in diesen jungen Leuten etwas wach wird, was offensichtlich noch wirksamer und weittragender war, als er es vorher in seiner Ausbildung für die künftige Pastoral eingeschätzt hat. Er sagt immer wieder, er habe, was die Marienliebe angeht, ganz viel von seinen jungen Leuten gelernt. Er hat beobachtet, wie die Gottesmutter einen wirklichen Einfluss ausübt, den er nutzen wollte für seine Art, Seelsorger dieser Jugend zu sein.

Pater Kentenich motiviert seine jungen Leute, sich besser kennen zu lernen und sich durch Selbsterziehung und apostolischen Einsatz untereinander für den späteren Beruf vorzubereiten. Er führt sie hin zu einer jugendgemäßen Verehrung der Gottesmutter, zu einem Heiligkeitsstreben und einem Heiligkeitsideal, das weder verstaubt noch überzogen war, wie in der Zeit, aus der er kam. Er setzt sehr stark auf den erzieherischen Einfluss der Gottesmutter in der Zeit des Krieges, weil er spürt, die Mutter Jesu  hat diese jungen Leute gleichsam an der Angel. Er gewinnt sie für seinen Lieblingsgedanken, die Gottesmutter zu bewegen, das alte Michaelskapellchen zu einem Gnadenort zu erwählen. Er spürt, wie diese Bindung wächst, wie diese Idee ganz viel Leben weckt und wie da um Maria eine neue originelle Bewegung entsteht. Im beginnenden ersten Weltkrieg hält Pater Kentenich Kontakt über die Schützengräben hinweg, motiviert Einzelne, sich um andere zu kümmern und hält sie an, auf diese Weise immer mehr Verantwortungsbewusstsein füreinander zu entwickeln und zu praktizieren. So schult er Apostel und künftige Missionare. So weckt er Eigeninitiative, Heiligkeitsstreben und Liebe zur Mutter  Gottes.

Ab Herbst 1920 wohnt Pater Kentenich einige Jahre[7] in Engers etwa 10 Kilometer von Schönstatt entfernt Richtung Norden, wo er als Hausgeistlicher und Krankenhausseelsorger wirkt und die begonnenen Kontakte immer mehr ausbaut. Sein Einsatz weitet sich Jahr für Jahr aus im Blick auf Seminaristen auch in anderen Priesterseminaren. Sie kommen in seinen Blick, weil durch die jungen Leute in ihrer Soldatenzeit Kontakte zu anderen Priesterkandidaten entstanden waren. Besonders nach der Entscheidung bei einer Tagung in Hörde entwickelt sich die Kongregation weit über das Studienheim von Schönstatt hinaus. Und so wuchs ein Netz um Schönstatt und das kleine Heiligtum im Tal. Immer wieder wird Pater Kentenich eingeladen und lässt sich einladen, Vorträge und Exerzitien zu halten in Seminarien der verschiedenen Diözesen aus dem ganzen Bereich der Deutschen Bischofskonferenz. So kommt er auch nach Freiburg und nach St. Peter. Er hält Kontakte, macht Besuche bei Einzelnen und bei sich bildenden Theologengruppen.

Ein Niederschlag solcher Vorträge und solcher Besprechungen findet sich in der damals gegründeten Zeitschrift „Sal Terrae“. Darin wird deutlich, worum er sich kümmerte, was die Leute berichteten und einbrachten und wie auf diese Weise ein ganzes Netz gewachsen ist, in dem er als Gründer und Inspirator mittendrin war.

In lebendigem Kontakt mit vielen jungen Priestern und Seminaristen wächst das Werk, zu dem in den 20er Jahren dann auch die ersten Frauen stoßen. Pater Kentenich hat sich zunächst ganz, wie es seine Aufgabe war, auf diese jungen Männer konzentriert. Ihnen hat er sich gewidmet und ihnen seine Kraft geschenkt. Er hatte sich entschieden, ganz in diesem Bereich zu wirken. Um ihn wachsen immer mehr Kreise, die sich interessieren für seinen neuen, sehr pädagogischen Aufbruch. Um ihn sammeln sich Leute, die sich interessieren für dieses freiheitlichere geistliche Leben, wie es um ihn wächst und trotzdem Tiefe zeigt und Tiefe hat. Mit der Zeit kommen Leute aus verschiedenen Berufen. Auch akademische Kreise beginnen sich zu interessieren und kommen zu Tagungen nach Schönstatt, das in diesen Jahren wächst und wächst und mehr und mehr bekannt wird.

Vorstoß in weitere Priesterkreise

Ab 1929 wagt Pater Kentenich einen neuen Vorstoß in weitere Priesterkreise. Es ist sein erklärter Wille und sein großes Anliegen, auf diesem Feld weiter zu kommen. Inzwischen hat er im Jahr 1926 die Gemeinschaft der Marienschwestern gegründet. Er beobachtet die Anziehungskraft für ganz viele Frauen, die mehr und mehr andere Frauen ansprechen und nach Schönstatt einladen. Trotzdem konzentriert er sich noch einmal sehr stark auf die Priester. Er weiß, wenn er in der Kirche ein großes Werk schaffen will, dann muss das „auf den Schultern des Weltklerus ruhen“. Das ist seine Intuition und seine Idee und der widmet er sich mit ganz großen Elan. Fast monatlich bietet er ab diesen Jahren einen Exerzitienkurs für Priester an. Für das Jahr 1934 zählt man 2631 Priester bei seinen Exerzitien[8].

Jedes Jahr arbeitet er einen neuen Kurs aus, so dass auch Leute, die ihn entdeckt hatten und im nächsten Jahr wiederkommen wollten, Neues hören und erleben. Jedes Jahr bietet er einen neuen aktuellen Kurs und kann so Leute von Schritt zu Schritt weiterführen hinein in eine ganz große Gedankenwelt. Es ist ihm klar, dass unheimlich viel im Umbruch ist und dass es eine Zeit ist, die eine unaufhaltsame Dynamik[9] entwickelt. Er diagnostiziert eine ganz umfassende Zeitenwende und spricht über seine Beobachtungen und Einschätzungen der Zeit jeweils im Eröffnungsvortrag seiner Exerzitienkurse. Ältere Mitbrüder haben mir wiederholt berichtet, wie sie gerade auf diese Vorträge in besonderer Weise gespannt waren und wie sie den „Herrn Pater“ immer wieder „am Puls der Zeit“ erlebt haben. Er hat ihnen geholfen, den Umbruch der Zeit wahrzunehmen und die Stimmen der Zeit als Stimme Gottes zu deuten und geistlich auszuwerten. Pater Kentenich hat sich immer mehr darauf eingelassen und darauf verstanden, den Willen Gottes aus der Zeit heraus zu hören. Er wollte, eine Generation von Priestern zu schulen, die es wirklich wagt, vorsehungsgläubig den Weg in die Zukunft der Kirche zu gehen[10].

In Exerzitien steht P. Kentenich zwischen den Vorträgen und oft bis tief in die Nacht hinein für persönliche Gespräche und für das Sakrament der Buße zur Verfügung. Er äußert wiederholt, dass ihm diese Zeiten wichtiger sind als die großen Vorträge. Von einem der frühen Kurse wird bericht, dass ein junger Mitbruder den Ansturm in der Nacht stoppen wollte und die Losung ausgab, dass nach 22 Uhr keiner mehr zu ihm gehen durfte. Pater Kentenich stellt ihn zur Rede und zeigt ihm das Bild eines Pelikans in seinem Zimmer. Das ist das Ideal. So müsste ein Priester sich einsetzen. Er wird zu einem gesuchten Priesterseelsorger und wohl zum meist gefragten Exerzitienmeister der dreißiger und vierziger Jahre in Deutschland. Etwa ein Drittel des deutschen Klerus nimmt in dieser Zeit teil an seinen Exerzitien.

Dabei sind die Priester nicht die Einzigen, die ihn als Seelsorger suchen und brauchen. Inzwischen ist in Schönstatt die Bewegung gewachsen. Im sog. Bundesheim, das seit 1928 zur Verfügung steht, findet Kurs auf Kurs von Exerzitien und Tagungen statt. Inzwischen sind weitere Priester von Seiten der Pallottiner und der Diözesanpriester mit ihm für die wachsende Bewegung engagiert. Mit ihnen trifft er sich immer wieder zum Austausch und zu gemeinsamen strategischen Überlegungen in der sog. „Artusrunde“.

Herausgefordert zur Ganzhingabe

Er hat die Mitbrüder und viele andere aus seiner wachsenden Bewegung hingeführt, sich in dieser kritischen Zeit des Dritten Reiches bereit zu machen für den Willen Gottes. Er führte sie hin zu dem, was er „Blankovollmacht“ nannte und was er im „Fiat“ der Gottesmutter exemplarisch vorgebildet sah. Wir wissen um diese Praxis mit den weißen Blättern und dem Blankoscheck, eine Strömung, die auch Karl Leisner begeistert hat.

Viele Mitbrüder konnten in der  Person von Pater Kentenich erfahren: Da lebt einer sein Priestertum in einer Radikalität, die andere hineinzieht in die Welt des Glaubens und der Christusgliedschaft. Gerade die Christusgliedschaft, die er von Paulus her tief in sich aufgenommen hat, ist die große übergreifende Realität, aus der unser Gründer diese herbe und harte Zeit besteht und aus der er Signale aus dem Gefängnis nach außen gibt. Es ist die Zeit der Karmelbriefe[11], wo er einen jungen Kurs der Marienschwestern hinführt in sein Christusbild, das inzwischen in ihm lebt und das ganz von Paulus inspiriert ist. Er zieht sie hinein in dieses paulinische Denken, in die Realität der Christusgliedschaft, die noch einmal mehr bedeutet, als nur dem Vorbild Jesu zu folgen. Aus diesem Denken heraus verlässt er sich darauf: es gibt eine Beziehung, es gibt ein inneres, gewachsenes Miteinander zwischen mir und Christus. Und er schließt diese Welt der Christusgliedschaft[12] für seine geistliche Familie auf und weiß sich gleichzeitig als Priester herausgefordert, diese Realität in einer ganz tiefen und existenziellen Weise zu leben. Es ist für ihn sehr klar und durch alle seine Zeugnisse scheint das hindurch: Jesus Christus ist der einzige Priester und es gibt Priestertum nur in ihm und von ihm her[13]. Es gibt Priestertum im Neuen Testament nur noch aus Christus heraus. Ihn darf er als Priester für die ihm Anvertrauten repräsentieren und er lebt diese Rolle für die Seinen, für seine Gemeinschaft.

Dann folgt die Zeit des Nationalsozialismus, wo er das „Adsum“ seiner eigenen Priesterweihe in einer Radikalität verwirklicht, dass er seine ganze Kraft, seine ganze Gesundheit, seine ganze Arbeit, ja schließlich sein Leben anbietet[14]. So will er dazu beitragen, dass wahr wird, was er als Priester tun soll, nämlich Menschen zu Christus zu führen, sie hineinzuführen und hineinzubinden in diese innere Gliedschaft gegenüber Christus. Dieses Adsum-Gebet ist für mich wie eine Spitze des Eisbergs, wo man spürt, was in diesem Priester lebt und welches Feuer in seinem Herzen brennt. Dieses Adsum-Gebet, zu dem er sich gedrängt weiß, gibt er weiter, weil er andere auch mit hineinziehen möchte in diese Art, ganz für Christus zu leben und zu sterben.

Übrigens Pater Kentenich feierte in diesem Karmelgefängnis, das die Gestapo aus einem alten Kloster in der Karmeliterstraße von Koblenz gemacht hatte, illegal täglich die heilige Eucharistie. Mit einem kleinen Silberbecher und mit dem Deckel einer Taschenuhr als Patene. Beide Utensilien sind im Pater-Kentenich-Haus zu sehen und in unserer Schönstatt-Kapelle auf Berg Moriah im rechten hinteren Fenster abgebildet. Für mich ist das eine kostbare Erinnerung an diese Zeit im Karmelgefängnis, wo unser Gründer ganz aus dieser verborgenen Quelle der Eucharistie lebt, schreibt, Zeichen nach außen gibt, Menschen draußen inspiriert und mit hereinholt in sein Streben und sein Priestersein. 

Im Priesterblock von Dachau

Vom Gefängnis der Gestapo in Koblenz geht der Weg weiter zum Konzentrationslager nach Dachau. Im März 1942 wird er dorthin überstellt. Der Weg geht über die Bahnstrecke Bad Ems, Limburg, Frankfurt und Würzburg nach Dachau. Auf diesen Gleisen wurde er in einem Gefängniswagen transportiert, um ihn ins KZ zu schaffen, wo er als Häftling Nr. 29392 zunächst im Zugangsblock, dann im Block der polnischen Priester und schließlich im Priesterblock 26 bis April 1945 interniert bleibt[15]. Es ist eine harte Zeit der Bewährung seines Priestertums.

Wird das Feuer in seinem Herzen ausgehen oder noch mehr entfacht? Auch in dieser Situation gibt er nicht auf, als Priester zu leben und zu wirken. Selbst im KZ hält er Exerzitien und über viele Monate abendliche Vorträge für mitgefangene Priester. Sein Thema ist unter anderem: „Der apokalyptische Priester“ und es geht ihm darum, aus dem Buch der Apokalypse für sich und andere Trost und Kraft zu schöpfen. Er will dazu helfen und motivieren, das Zeugnis für Christus in der Gefangenschaft durchzutragen. Danach soll Deutschland wieder ganz für Christus brennen. Nach der Hakenkreuzzeit will er Deutschland wieder zurückgewinnen für den am Kreuz. Er hält die Mitbrüder an, auch unter den Bedingungen des KZ ein gemeinsames priesterliches Leben zu führen und ihre priesterliche Würde nicht aufzugeben. Insgesamt bilden sich um ihn sieben Gruppen von Schönstattpriestern, die sich unter den Bedingungen des KZ regelmäßig treffen. Zu ihnen gehörte auch der selige Karl Leisner und Kaplan Gerhard Hirschfelder, der am kommenden Sonntag in Münster seliggesprochen wird.

Unser Gründer dichtet für sie die Horen[16] des Stundengebetes. Es ist ein Stundengebet in Reimen, das man sich merken konnte und das Verbindung schuf untereinander und Verbindung nach draußen. So entsteht Verbindung mit den Schwestern, die anfingen, sich diese Texte abzuschreiben und sie mitzubeten und auswendig zu lernen. Alles ist in Reimen getarnt, damit es harmlos wirkt, wenn es in die Hände der SS fällt. Die Inhalte sind geradezu „verdichtet“ wie viele Verse der Dachauer Gebete. Manche Mitbrüder lernten sie auswendig, um auf diese Weise ihr priesterliches Breviergebet auch unter diesen schwierigen Bedingungen eines KZ fortzusetzen. Von Karl Leisner haben wir einen Brief, in dem er sich für diese Tagzeiten bedankt, die ihm der Vater geschenkt hat.

Viermal hat Pater Kentenich die Gelegenheit, am Altar in der Kapelle von Block 26 mitten im KZ die Eucharistie zu feiern. Sonst feiert er die Heilige Messe einfach mit, empfängt die Kommunion und reicht die Kommunion an andere weiter. Es ist der Altar, an dem auch Karl Leisner von einem französischen Bischof im KZ  zum Priester geweiht wird[17]. Wenig später am Stefanustag des Jahres 1944 feiert er an diesem Altar seine erste und einzige Messe. Für nicht wenige ist dieser Altar, der heute im Priesterhaus Berg Moriah in Schönstatt steht, ein Ort geworden, wo sie sich von dieser besonderen Gnadenzeit im Leben Pater Kentenichs berühren lassen.

Was nach dem Willen der Machthaber ihn und sein Priestertum beschränken und behindern sollte, hat gerade das Gegenteil erreicht. Aus der Hölle des KZ Dachau hält er Kontakt mit seiner Gründung. Er leitet von dort aus seine 1926 gegründete Schwesterngemeinschaft und diktiert ganze Bücher zur spirituellen Schulung wie z.B. die „Marianische Werkzeugsfrömmigkeit“, die „Unterweisungen über das Gebet“ und den „Hirtenspiegel“[18]. Hier reift die Spiritualität Schönstatts aus und gewinnt ihre Höhenlage. Nach und nach entstehen viele Dachauer Gebete, die er bald nach der Befreiung aus dem KZ unter dem Titel „Himmelwärts“ veröffentlicht. Damit hat er als Priester seiner geistlichen Familie einen großen Schatz hinterlassen, der als Gebetsschule bis heute eine große Rolle in der Bewegung  spielt. Im KZ ergeben sich wichtige Kontakte zu Gefangenen aus anderen Nationen und zu evangelischen Pfarrern. Josef Kentenich lässt sich im Vorsehungsglauben führen und wagt, mitten im KZ die Ausrufung der „Schönstätter Internationalen“ sowie die Gründung des Schönstätter Familienwerkes und der Schönstätter Marienbrüder.

Endlich zurück und bald erneut „gefangen“ gesetzt

Ungebrochen kehrt Pater Kentenich aus der Zeit der Gefangenschaft des KZ zurück und setzt sein priesterliches Wirken fort. Mit vertiefter Sendungsergriffenheit möchte er seine Gründung hineintragen in die Kirche, in die Wissenschaft und in die Internationale. Es folgen seine großen Weltreisen, die entscheidend dazu beitragen, Schönstatt in mehreren Ländern Lateinamerikas, Afrikas und in den USA einzupflanzen.

Der Wunsch, seine Gründung der Kirche zur Verfügung zu stellen und zur Prüfung vorzulegen, führt zunächst nicht zum Ziel. Es kommt Anfang der 50er Jahre zu zwei Visitationen - einer bischöflichen und einer päpstlichen -, und zum Exil in Milwaukee im Staate Wisconsin/USA. Durch Entscheid des Heiligen Offiziums wird er getrennt von seiner Bewegung. Man sieht in dieser Bewegung zwar etwas apostolisch Großartiges, Wichtiges und durchaus Hilfreiches für die Kirche, hat aber gleichzeitig eine gewisse Angst davor. Man will vor allem ihn weg haben, an den das alles gebunden ist. Man versteht offensichtlich diese Bindung an den Gründer nicht. Man meint, diese Bindung abschneiden und unterdrücken zu müssen, verdächtigt sie als Personenkult. Rom schickt ihn weg, schickt ihn in den Schatten, verbannt ihn in die USA. 

Für den Priester Josef Kentenich ist diese „zweite Gefangenschaft“, die 14 Jahre dauern sollte, noch härter und schmerzlicher, da sie von der Kirche, die er liebt, verfügt ist. Auf dem Weg ins Exil hält er noch verschiedene Terziate, vierwöchige Exerzitien für Mitbrüder bei den Pallottinern. Es sind Texte voller Erfahrung eines Priesters, voller Erfahrung im geistlichem Leben, voller Weisheit im Blick auf Führung von Menschen und Leitung einer Gemeinschaft. Ich bin überzeugt, darin steckt ein so großer Reichtum an Lebenserfahrung, die er als Priester Mitbrüdern weiter gibt, dass sich daran noch Generationen schulen werden und schulen können.

Schließlich landet er in Milwaukee, einer Filiale der Pallottiner. Er ist kaltgestellt und abgeschnitten von seiner Gründung, die er liebt wie sein eigenes Kind, wie Abraham seinen Isaak. Immer mehr wird er in seinem Wirk- und Bewegungsradius eingeschränkt. Man will ihn isolieren, seine Kontakte kappen. Und so ist er am Ende Seelsorger für eine deutsche Gemeinde im Ausland, für Flüchtlinge, die der Krieg hierher gespült hat und die in der Gegend von Milwaukee in den USA eine Heimat und Zukunft suchen. Mit großer Hingabe und großer Selbstverständlichkeit widmet er sich dieser deutschen Gemeinde in St. Michael. „Der liebe Gott hat mich hierher gestellt. Also wird hier meine Aufgabe sein“. Die Leute der Gemeinde wissen nichts von seiner großen weltweiten Gründung. Für sie ist er ein alter Pater mit weißem Bart. Er ist ihr Seelsorger, ihr Pfarrer. Den Angehörigen der Pfarrei, die meist ihre Heimat verloren haben, versucht er, in der Kirche und im Glauben Heimat zu schaffen. Im neuen Buch zum Priesterjahr ist ein viel sagender Text, wo man spüren kann, „Heimat schaffen“ ist für ihn wie ein neues Wort geworden[19] für das, was ein Priester soll: Den Menschen Heimat schaffen bei Gott. Den Menschen Heimat schaffen im Miteinander der Gemeinde. Den Menschen Heimat schaffen auch bei sich selber, indem man ihnen sein eigenes Leben öffnet und ihnen Anteil daran gibt wie Paulus. Es geht ihm nicht darum, dass die Leute „Vater“ zu ihm sagen. Und doch lebt er diese Wirklichkeit, dass er wie ein Hirte, wie ein Vater für sie da ist. Viele erleben ihn so und manche sprechen ihn so an. Viele finden zu ihm in allen möglichen Sorgen und Problemen. Sie wissen sich von ihm angenommen und verstanden. Er ist für sie wie ein Vater.

Mit Mitbrüdern aus unserer Priestergemeinschaft war ich in den letzten Jahren wiederholt in Milwaukee und habe Menschen getroffen, die aus dieser Zeit immer noch in großer Dankbarkeit von Pater Kentenich als „ihrem Vater“ sprechen. Für viele bedeutete es offensichtlich einen großen Schmerz, als er nach 14 Jahren nach Rom zurückgerufen wurde und das Exil für ihn ein Ende nahm.

Ohne das Konzil wären Sie nie verstanden worden, kommentierte damals Kardinal Bea das Ende des Exils im Gespräch mit P. Kentenich[20]. Eine Audienz beim Heiligen Vater Papst Paul VI. am 22. Dezember 1965 besiegelt die Rehabilitierung[21]. Gleichzeitig verspricht der Gründer dem Heiligen Vater, sich „mit der Familie einzusetzen, dass die postkonziliare Sendung der Kirche möglichst vollkommen verwirklicht würde“[22].

Es folgen drei Jahre in Schönstatt. Es sind Jahre großer Aufbruchsstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Es sind Jahre voller Wiedersehensfreude und Jahre der Vergewisserung über die Sendung seines Werkes für die Kirche. Es sind Jahre der Ausgründung für seine Gemeinschaften. Die Fülle der Begegnungen und Ansprachen, der Exerzitien und Kurse ist fast unermesslich.

Am 15. September 1968, dem Fest der sieben Schmerzen Mariens, freuen sich Schwestern einer ganzen Provinz, mit ihm in der neu erbauten Dreifaltigkeitskirche auf Berg Schönstatt die Eucharistie zu feiern und danach eine Begegnung mit ihm zu haben. Es wird die letzte Heilige Messe seines Priesterlebens sein. Nach der Danksagung in der Sakristei bricht er zusammen und stirbt auf dem Boden liegend[23]. Die Stunden und Tage danach sind ein einziges Zeichen für die Fruchtbarkeit seines Priesterlebens. Tag und Nacht lösen sich Tausende von Menschen an seinem offenen Sarg ab, in dem er - mit einem weißen Messgewand bekleidet - ruht. Sie alle möchten zum Ausdruck bringen, dass sie diesem Priester unendlich viel verdanken und seine Botschaft und seine Liebe zur Kirche weitertragen. Wir  waren als junge Theologen in diesen Tagen dabei. Am offenen Sarkophag starteten wir unsere Kandidatur für seine Priestergemeinschaft mit dem Wunsch, einmal Priester zu werden in seinem Geist und Sinn. In uns war die Überzeugung, sein Feuer muss weiter brennen in uns und in einer wachsenden Bewegung für die ganze Kirche.



[1] Vgl. Schlickmann, Verborgene  Jahre, S. 114
[2] Vgl. Schlickmann, a.a.O. S. 139
[3] E. Monnerjahn, Pater Joseph Kentenich, Ein Leben für die Kirche, Vallendar-Schönstatt 1975, S. 55
[4] Ebenda  S. 55
[5] Pater Joseph Kentenich, Predigten 1910-1913, herausgegeben und eingeleitete von Engelbert Monnerjahn, Vallendar-Schönstatt 1988.
[6] Vgl. Peter Wolf, In der Schule des Apostels Paulus, S. 67-71
[7] Engelbert Monnerjahn, Pater Joseph Kentenich, S. 348
[8] Vgl. Josef Schmitz, Begnadeter Priesterseelsorger, Regnum 1969.1. S. 35-51
[9] Vgl. Peter Wolf, Berufen – geweiht – gesandt, S. 27f
[10] Vgl. Peter Wolf, Berufen – geweiht – gesandt, S. 61-74
[11] Pater Josef  Kentenich, Nova creatura, hrsg. vom Säkularinstitut der Schönstätter Marienschwestern für die Verbände und Bünde
[12] Vgl. dazu die Peter Wolf, In der Schule des Apostels Paulus, bes. Texte S. 101-128
[13] Vgl. dazu  die Texte in: Peter Wolf, Gerufen – geweiht – gesandt, S.47-60
[14] Vgl. Engelbert Monnerjahn,  Pater Joseph Kentenich, Vallendar-Schönstatt 1975, S. 197
[15] Engelbert Monnerjahn, Häftling Nr. 29392, Vallendar-Schönstatt 1972
[16] Vgl. Peter Wolf, Gebetsschule Himmelwärts, Geistlicher Kommentar zu den Dachauer Gebeten von Pater Josef Kentenich, Vallendar-Schönstatt  1995 2. Aufl. S. 167-208
[17] Hermann Gebert, Geschichte einer Berufung, S. 146f
[18] Vgl. Engelbert Monnerjahn, Häftling  Nr. 29392, S.203-216
[19] Vgl. Peter Wolf, Berufen – geweiht – gesandt, S. 88-92
[20] Joseph Kentenich, in Propheta locutus est, Sonderband IX., S. 61
[21] Engelbert Monnerjahn, Joseph Kentenich,  S. 308f
[22] Josef Kentenich, Propheta locuta est, Bd. III, S. 145
[23] Vg. Engelbert Monnerjahn, Pater Joseph Kentenich, S.329f

 

 

 

 
 

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