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Pädagogik
M. Erika Frömbgen

1. Zur Entstehungsgeschichte
2. Die pädagogische Konzeption
3. Didaktisch-methodische Eigenheiten
4. Rückfragen

Lesen Sie ergänzend zu diesem Artikel die preisgekrönte Diplomarbeit von Angelika Schüllner:
DIE PÄDAGOGISCHEN KONZEPTE VON PATER KENTENICH UND DON BOSCO

Außerdem in tschechischer Sprache die preisgekrönte Diplomarbeit von Veronika Zahrádková:
Výchova ke křesťanským ideálům Model schönstattské pedagogiky P. Josefa Kentenicha

Das Selbstverständnis Schönstatts ist seit den ersten Anfängen (1912/14) mit der Dimension des Pädagogischen ausgestattet, die in den 20er und 30er Jahren immer deutlicher die Konturen eines originellen pädagogischen Konzepts annahm und schließlich als "Schönstatt-Pädagogik" bezeichnet wurde (>>Erziehung, >>Erziehungsbewegung). Ihre fünf "Leitsterne" sind: >>Bindungspädagogik, >>Bewegungspädagogik, >>Bündnispädagogik, >>Idealpädagogik, >>Vertrauenspädagogik

1. Zur Entstehungsgeschichte - Die pädagogische Konzeption Schönstatts ist in ihren Grundzügen das Ergebnis aus der geistigen Auseinandersetzung mit den aktuellen pädagogischen Erfahrungen im Lebensumfeld des Gründers, der von sich aussagte, dass die >>"Zielgestalt vom >>neuen Menschen und der neuen Gemeinschaft" bereits seit Kindertagen in ihm lebendig war. Die Frage nach dem Menschen und den religiös-sittlichen Bedingungen seines Wachsens und Reifens in seinem sozialen Umfeld wird seinerseits primär pädagogisch beantwortet. Das geschieht nicht nur im erzieherischen Kontext mit der werdenden und sich ausweitenden Schönstattbewegung, sondern vor allem in der geistigen Auseinandersetzung mit den ideologischen und philosophischen Strömungen im deutschen Sprachraum und den pädagogischen Impulsen des deutschen Katholizismus. Der Beginn liegt in dem pädagogischen Bemühen, die Persönlichkeitserziehung der ihm anvertrauten Jugendlichen im Verbund mit der "marianischen Erziehung" so zu gestalten, dass sich Freude an der >>Selbsterziehung und am Aufbau einer eigenen Gemeinschaft entfalten konnte. Die fortgesetzte geistliche Betreuung für die Soldatensodalen in den Kriegsjahren 1914-18 bestärkte Pädagogik Kentenich in der Überzeugung, dass die pädagogische Idee vom neuen Mensch in der neuen Gemeinschaft bereits Konturen annahm (Josef >>Engling, Max >>Brunner, Hans >>Wormer). Am Lebensbild Josef Englings ließ sich aus der Retrospektive bereits ein deutlicher Erstentwurf der pädagogischen Konzeption Schönstatts aufzeigen (A. Menningen 1936).

Nachdem P. Kentenich ab 1919 ausschließlich für den Auf- und Ausbau der werdenden Schönstattbewegung freigestellt war, erweiterten sich die Möglichkeiten, die eigenen pädagogischen Vorstellungen frei von autoritären Vorgaben in die konkrete Erziehung zu übertragen und mit einem wachsenden Mitarbeiterteam (Studenten, Priester, Lehrer) zu reflektieren. Bereits 1920 kamen die ersten Frauen, zunächst vorwiegend Lehrerinnen, hinzu. Neben der erzieherischen Kleinarbeit von Mensch zu Mensch entwickelte er in öffentlichen Kursen und Tagungen die Ergebnisse seiner pädagogischen Reflexion, in die er die Richtungskämpfe der ideologisch unterschiedlichen Reformbewegungen in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen (z.B. Foerster, Willmann, Kerschensteiner) konsequent einbezog. Auf diese Weise entstand ein zeitnahes pädagogisches Grundsatz- bzw. Gegensatzprogramm, ausgerichtet auf eine bewusst katholische Erziehung. Im Rahmen dieser geistigen Auseinandersetzung entwickelte er die Leitlinien einer Persönlichkeitserziehung, die er zuvor selbst praktiziert und erprobt hatte. In diese integrierte er kritisch in der Vergangenheit bewährte und neu entstehende pädagogische Strömungen.

Der aufkommende und sich ausweitende Nationalsozialismus mit seinem pädagogischen Totalanspruch bedeutete für P. Kentenich und die von ihm inspirierte Erziehungsbewegung eine Herausforderung zur geistigen Konfrontation und zur Entwicklung eines pädagogischen Gegensatzbewusstseins. Diese Auseinandersetzung bezahlte er und eine größere Anzahl seiner Mitarbeiter mit Gefängnis- und KZ-Haft, einige sogar mit dem Leben (Albert >>Eise, Lotte >>Holubars, Karl >>Leisner, Franz >>Reinisch u. a.). Die folgende Aufarbeitung diente der reflexiven Erfassung all jener Bedingungen, die einen ideologisch verbrämten Führerkult und die Einebnung der Persönlichkeit zugunsten einer "gesichtslosen Masse" begünstigten. Kritische Analysen von Autoritätsansprüchen gehörten seitdem zu den regelmäßigen Anmahnungen, die in Vorträgen und Briefen des Gründers einen breiten Raum einnehmen.

In den Jahren 1947-52 besuchte er die im Ausland gewordenen Schönstattzentren (Schweiz, Südafrika, Brasilien, Uruquay, Chile, Argentinien), auf besondere Einladung auch einige Städte in Nordamerika, u. a. Boys Town. P. Kentenich sah sich hier in seinen pädagogischen Zeitdiagnosen bestätigt und erweiterte sein pädagogisches Konzept durch die Dimension der interkulturellen Integration (>>Bewegungspädagogik). Gleichzeitig erkannte er aus dem vergleichenden Kontakt mit den romanischen Völkern den geistigen Bazillus, der sich in Europa durch die Kultivierung einer primär rationalistischen und idealistischen Denkweise vorwiegend in intellektuellen Bildungskreisen festsetzen konnte. Die kritische Konfrontation von "separatistischem und >>mechanistischem" mit >>"organischem Denken, Lieben und Leben" bestimmte seitdem seinerseits die pädagogische Diskussion. Er präzisierte auf diesem Hintergrund noch einmal das eigene Erziehungsprogramm, insbesondere die originellen Aspekte der Bindungs-, Bündnis- und >>Liebespädagogik (St 1949). Das Problem, "Überwindung des separatistischen und mechanistischen Zeitgeistes", beschäftigte ihn für den Rest seines Lebens so intensiv, dass er dafür eine Fülle von konfliktiven Auseinandersetzungen auf sich nahm. Im Blick auf die Auswirkungen für Individuum und Gemeinschaften in Kirche und Gesellschaft versuchte er in Wort und Schrift auf Tendenzen hinzuweisen, die funktional wie intentional die kollektive Einebnung der christlichen Persönlichkeit und zugleich die Auflösung christlicher Gemeinschaften unterstützen.

2. Die pädagogische Konzeption - Anhand der Werdegeschichte wird deutlich, dass es sich bei der Schönstattpädagogik nicht um einen akademischen Entwurf im Diskussionsbereich der universitären Forschung und Lehre handelt, sondern um die konsequent festgehaltenen Konturen einer pädagogisch reflektierten Erfahrungskette. In diesen spiegeln sich die Ergebnisse aus Theorie und Praxis durch das fortgesetzte Bemühen, Zeitbedingtes und überzeitlich Gültiges als dynamische Prozessfaktoren zu analysieren und als erzieherische Wirkfaktoren zu benennen. Die Eigenbedeutung solcher Faktoren kommt jeweils in den spezifischen Bezeichnungen der Zielrichtung zum Ausdruck. Das gilt nicht nur für die programmatischen Hauptleitlinien der Schönstattpädagogik, bezogen auf Ideal, Bindung, Bündnis, Bewegung, Liebe und Vertrauen, sondern auch für andere zentrale Wert- und Inhaltsaspekte wie marianische Erziehung, Freiheitserziehung, Glaubenserziehung, Wahrheitserziehung, Hochgemutheits- und Demutserziehung u. a. Die Betonung, die den einzelnen didaktischen Aspekten auf diese Weise zugesprochen wird, bleibt aber eingebunden in das Gesamtkonzept unter der Zielperspektive >>neuer Mensch in neuer Gemeinschaft. Letztlich geht es immer um eine wechselseitige Ergänzung und Unterstützung in der Werterfassung, der Wertgerichtetheit und der Wertsicherung (JPT 1931). Eine solche Konzeption entspricht sowohl der Vielfalt möglicher Ausprägungsformen als auch der Selektivität des originellen Lebens (>>Persönliches Ideal).

Die innere Strukturgebung der pädagogischen Konzeption ist in ihrer Binnendifferenzierung deutlich von einem "sowohl als auch" gekennzeichnet, indem sie auf Polarität im Sinne von Spannungseinheit angelegt ist: Persönlichkeit und Gemeinschaft, Natur und Gnade, Freiheit und Bindung, Geist und Form, Vertrauen und Kontrolle, Übung und Haltung usw. Die Breite der Möglichkeiten fördert wiederum Originalität und Eigenständigkeit. Gleichzeitig werden Extreme zur Mitte geführt (Frömbgen 1973). Folgt man der geschichtlich vorausgehenden Praxis bei der terminologischen Bezeichnung, so kann man im Sprachstil der Zeit von einer "Balance-Pädagogik" oder "Pädagogik der Mitte" sprechen, wie auch von einer "dialogischen Pädagogik" und "dynamischen Erziehung". Wo es um die Konfrontation mit konträren Erziehungskonzepten geht, ist "Kontrast-Pädagogik" die situationsgemäße Bezeichnung.

3. Didaktisch-methodische Eigenheiten - Zu nennen sind hier (a) der enge Verbund zwischen Pädagogik, >>Psychologie und Religion, zwischen Seelsorge und Erziehung, zwischen Theorie und Praxis, Wissenschaft und Leben, (b) die sich in der konzeptionellen Entfaltung durchhaltende Orientierung an den >>Erkenntnisquellen: Zeit, Sein und Seele, verbunden mit (c) der Sorgfalt in der vom Gründer genannten Methodenfolge: Beobachten, Vergleichen, Straffen, Anwenden, (d) die Anerkennung Marias als "Erzieherin" und das Bekenntnis zur Bündnisspiritualität (>>Bundesspiritualität) Schönstatts.

Wer die Schönstattpädagogik näher daraufhin analysiert, findet in ihrem Anwendungsbereich eine Vielzahl von didaktisch-methodischen Besonderheiten in Form von Stil gebenden Elementen. Sie konnten sich aus dem Eigenleben der einzelnen Gliedgemeinschaften entwickeln und haben sich in der pädagogischen Prozessgestaltung bewährt. So entstand durch eigenes Lied- und Gebetsgut und eine eigene Fest- und Feiergestaltung, durch eigene Zeitschriften und eine spirituell bezogene Verlagsarbeit, durch die Ausgestaltung von Kirchen und Wohnstätten im Verbund mit eigenen Kunstwerkstätten, nicht zuletzt durch die Entwicklung von Formen und Bräuchen, eine Art Binnenkultur, in der u. a. auch pädagogisches Traditionsgut weitergegeben wird.

Eine didaktisch-methodische Eigenheit ist zudem die konsequent festgehaltene geschlechtsspezifische Erziehung, die davon ausgeht, dass Mann und Frau zunächst sich selbst in ihrer psycho-physischen Eigengesetzlichkeit ausprägen müssen, um auf der Basis der Ergänzungsfähigkeit und -bedürftigkeit eine entsprechende Ergänzungswilligkeit entwickeln zu können.

4. Rückfragen - Kritische Rückfragen hat es während der gesamten Werdegeschichte der pädagogischen Konzeption gegeben, so dass sie auch in der Nachgründerzeit nicht verwunderlich sind, sondern eine Aufforderung zur Fortsetzung einer kreativen Selbstreflexion darstellen. Eine gewisse Gefährdung geht von "pädagogischer Sesshaftigkeit" aus, denn sie verhindert in der Regel nicht nur die zukunftsgerichtete Veränderungsbereitschaft in der pädagogischen Praxis, sondern bereits die im Vorfeld erforderliche Dialogbereitschaft mit der nachwachsenden Generation als Repräsentanten der "neuen Zeit". Das pädagogische Konzept P. Kentenichs als Erbe übernehmen, erfordert zugleich, sich an seiner Methode zu orientieren und seine Erkenntnisquellen ernst zu nehmen. Denn eine zunehmend traditionsbeladene Pädagogik kann dem Anspruch, dem neuen Menschen und der neuen Gemeinschaft auf dem beschwerlichen Weg "ans neue Ufer" behilflich zu sein, schwerlich gerecht werden. Zudem bedarf die Schönstattpädagogik für den Dialog nach außen eines breiten Zugangs zum Leben und zur Sprache derer, die mit ihr in Korrespondenz treten. Schließlich müssen diejenigen, die sie nach innen und außen vertreten, ihre fachliche Kompetenz fortwährend aktualisieren. Das gilt vor allem in den Kulturräumen, in denen die wissenschaftliche Diskussion über pädagogische Fragen allen Gesellschaftsschichten zugänglich ist.

Literatur:

E. Badry, Grundstrukturen einer christlich vermittelten Erziehung, Regnum 15 (1980) 159-168, 16 (1981) 10-25. 79-87

dies., Schönstatt-Pädagogik und Erziehungswissenschaft heute. Begegnungsmöglichkeiten, Anknüpfungspunkte, Aufgaben, Regnum 22 (1988) 87-99

A. Brühlmeier / W. Hegglin, Pädagogik im Geiste Schönstatts, Regnum 23 (1989) 77-92

D. Schlickmann, Die Idee von der wahren Freiheit. Eine Studie zur Pädagogik Pater Josef Kentenichs, Vallendar-Schönstatt 1995.

M. Erika Frömbgen

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Schönstatt-Lexikon:
Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)
Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt - All rights by Patris-Verlag -
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Online-Präsentation: Priester- und Bildungshaus Berg Moriah, Simmern, in Zusammenarbeit mit dem Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI)

 

Eingestellt von
O. B.
BM
Eingestellt am: 14.01.2013 18:55
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