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JoBr52-06_Fortsetzung_3

Maria ist Garant des Geöffnetseins für Gott

Graber [28] beschäftigt sich in der kürzlich erschienenen Schrift: „Die Bedeutung Mariens nach dem Heilsplane Gottes in der Gegenwart“ - mit demselben Gegenstand. Er hebt jedoch mehr die theologische Seite hervor. Zur Abrundung des Gedankenganges geben wir ihm das Wort: „Es gibt in jedem Geschöpf eine geheimnisvolle Fähigkeit, auf den Anruf einer höheren Wirkursache hin zu reagieren und zwar in einer Weise zu reagieren, die von Natur aus ihm nicht zukommt. Die Theologen nennen diese Fähigkeit die potentia oboedientialis; in dieser Potenz liegt es z. B. begründet, wenn das Wasser, wie im Falle des Wunders von Kana, in Wein verwandelt wird. Wenn wir diese Potenz nunmehr im Lichte des Religiös-Aszetischen betrachten, so ist sie nichts anderes als das Bereit- und Geöffnetsein für Gott. Dieses Empfangen ist neben dem Anbeten der Urgestus des Geschöpfes und vor allem des Menschen. In der Sünde verschließt sich der Mensch Gott gegenüber und vergewaltigt sozusagen diese Gehorsamspotenz: er ist ungehorsam. Paulus geht sogar so weit, zu sagen, dass „durch den Ungehorsam des einen Menschen (Adam) die vielen zu Sündern geworden sind“ (Röm 5, 19). Auf diesem biblisch-metaphysischen Hintergrund wird uns nun die Verkündigungsszene erst in ihrer ganzen Tiefe einsichtsvoll. Denn in Maria erfolgt die große Gegenbewegung der Menschheit. Maria verkörpert mit ihrem Wort „Siehe die Magd des Herrn, mir geschehe nach Deinem Wort“ (Lk 1, 38) „die Hingebungsgewalt des Kosmos“ [29], wie Gertrud von Le Fort sich einmal so schön ausdrückte. Weil eben Maria in diesem Augenblick, wie wir schon gesehen haben, die ganze Menschheit repräsentiert, so verhilft sie mit ihrem Wort der ganzen Schöpfung zu dem, was ihr Wesen ist, nämlich ancilla, Magd des Herrn zu sein. So ist Maria Zeichen der potentia oboedientialis. Die Schöpfung kehrt zurück in die seinsgerechte Haltung des Weiblich-Empfangenden, und deshalb kann nun auch das geheimnisvolle „connubium“ (d. h. die Gemeinschaft) zwischen Gott und den Menschen stattfinden; Gott kann sich wieder in bräutlicher Liebe zu uns Menschen niederbeugen.

Wenn wir diese Gedanken ins Heilsgeschichtliche übersetzen, so ergibt sich daraus: Maria ist das lebendige Hin-zu-Christus. Der alttestamentliche Advent erhält in ihr seine höchste und letzte Verkörperung. „Sie ist Königin der Patriarchen und Propheten ... sie fängt alles Licht des Alten Bundes auf von Eva bis zum Buch der Weisheit- und sie strahlt es aus, da in ihrem Schoß die Sonne der Gerechtigkeit einging“. [30] Ein deutscher Dichter hat diesen heilsgeschichtlichen Advent, der Maria ist, folgendermaßen besungen:

Der Menschheit schmachtendes Begehren
nach Gott; die Sehnsucht tief und bang,
die sich ergoss in heißen Zähren,
die als Gebet zum Himmel drang.

Die Sehnsucht, die zum Himmel lauschte,
nach dem Erlöser je und je;
die aus Prophetenherzen rauschte
in das verlassne Erdenweh, [[214]]

Die Sehnsucht, die so bange Tage
nach Gotte hier auf Erden ging,
als Träne, Lied, Gebet und Klage:
Sie ward MARIA – und empfing.
(Nikolaus Lenau) [31]

Weil also Maria „das menschliche Offensein der göttlichen Liebestat gegenüber ist“ [32], darum bereitet sie auch das Kommen Christi in den einzelnen Seelen vor. Hier hätte nun jene altchristliche Lehre ihren sinngemäßen Platz, wonach Maria es ist, die die Menschen zum Glauben führt, so wie es schon der hl. Cyrill v. Alexandrien am Tag der feierlichen Dogmatisierung von Mariens Gottesmutterschaft ausgesprochen hat: „Durch Dich, o Gottesgebärerin, wird jede Kreatur zur Erkenntnis der Wahrheit hingeführt, durch Dich gelangen die Gläubigen zur hl. Taufe, durch Dich werden überall unter den Völkern die Kirchen gegründet.“ [33]

Wäre es heute, wo der Unglaube und die Gleichgültigkeit im Glauben so erschreckend überhand nehmen, nicht viel Erfolg verheißender, all diese Menschen der „virgo fidelis“, der „glaubensstarken Jungfrau“ anzuvertrauen, anstatt sich nur auf die natürlichen Gegenmittel der Belehrung und einer selbst intensiven Arbeit zu verlassen?

Wenn nun so durch Maria der Glaube in der Seele wieder Einzug gehalten hat, so kann es auch dort zur mystischen Gottesgeburt im Herzen der Einzelmenschen kommen. Maria bereitet auch hier ihrem Sohne den Weg. Sie ist die Mutter der mystischen Gottesgeburt im Herzen der einzelnen Menschen. Wenn man die ergreifenden Berichte über Bekehrungen von Sündern durch Maria liest, wie solche Sträter [34] in seiner Katholischen Marienkunde und in seinem Artikel der „Sanctificatio Nostra [35]“ zusammengestellt hat, dann sind derartige, schon ans Wunderbare grenzende Sinnesumwandlungen sicher der Mutterliebe Mariens zuzuschreiben. Aber der letzte metaphysische Grund liegt darin, dass Maria die durch die Sünde unterdrückte Gehorsamspotenz des Menschen Gott gegenüber wieder öffnet, dass der Mensch wieder Gnade von Gott empfangen und dass in dieser Gnade sich die Gottesgeburt im Herzen des einstigen Sünders und die Vermählung Gottes mit ihm vollziehen kann. Weil also Maria Königin des Seelen- und des Menschheitsadvents ist, das lebendige Hin-zu-Christus, darum kommt ihr heute eine so große missionarische Bedeutung zu ...

Ist nicht nach einem berühmten Wort auch Deutschland, ja Europa ein Missionsland [36] geworden mit modernen Heiden, in denen dieser Sinn für Gott völlig erloschen zu sein scheint? Wird nicht von allen Seelsorgern die betrübliche Feststellung gemacht, dass das religiöse Gefühl und Verständnis sogar schon auf dem Lande abgestorben zu sein scheint? Und dass der moderne Mensch über-haupt das religiöse Organ verloren hat? Hier hilft nur mehr eines: diese Menschen der Gottesmutter zu überantworten, damit sie die abgestorbene Gehorsamspotenz im Menschen wieder erwecke und ihn wieder aufnahmefähig mache für das Göttliche! Alles andere, Organisationen, Missionen, Tagungen, Vorträge, mag gut und recht sein; aber damit stoßen wir nicht bis zum entscheidenden Punkt vor. Diese entscheidende Wende vollzieht nach dem Plane Gottes nun ein-mal niemand anderes als jene, von der die Kirche sagt, dass sie alle Irrlehren in der Welt überwunden hat und in der sich der Mensch Gott gegenüber wieder öffnet und aufschließt. Hier liegt auch ein bedeutsames Moment der Weihe der Welt an Maria. Bevor wir dieser „im argen liegenden Welt“ (1 Joh 5) die Frohbotschaft von Christus, dem alleinigen Mittler und dem alleinigen Heil, künden sollen, muss diese dem Religiösen und Göttlichen abgestorbene Welt überhaupt erst wieder empfänglich gemacht werden für Gott. Zeichen für diese zuvorkommende Gnade ist aber Maria, weil sie im eigentlichsten Sinne des Wortes Gott empfangen hat, als demütige Magd, die die Gehorsamspotenz der Schöpfung am reinsten und vollendetsten in sich ausgeprägt hat. ... Es ist darum eine völlige Verkennung der Marienverehrung, wenn man meint, dass dadurch der Person und [[215]] Würde Christi Abbruch geschähe. Im Gegenteil: Da Maria totale Hingabe ist, so ist in ihr immer Christus mitgemeint. Deshalb nennt der hl. Ludwig Maria Grignion [37] Jesus Christus das letzte Ziel und Ende der vollkommenen Andacht zu Maria.“ [38]

Von hier aus erhält der Ausspruch des hl. Bernhard: non erigitur vir nisi per feminam [39] einen mehrfachen Sinn.

Erster und ursprünglicher Sinn: Wie der Mann (Adam) durch die Frau Eva) gefallen ist, so wird er durch Vermittlung, durch Mithilfe der Frau, der Gottesmutter gerettet und erlöst. Augustinus sieht in dieser göttlichen Planung und ihrer Verwirklichung vornehmlich eine Ehrenrettung der Frau, die durch in die Erlösungsordnung aktiv einbezogen wird, und eine Verdemütigung für den Teufel, der von einem Weibe besiegt wird, nachdem er das Weib für seine Unheilspläne missbraucht hat.

Zweiter Sinn: Die erlöste Frau, das Abbild der Gottesmutter, die altera Maria, übt normalerweise einen starken Einfluss auf Erlösung und Heiligung des Mannes aus: non erigitur vir nisi per feminam. Hier leuchtet ein anziehendes Ideal jeglicher Frauen- und Mädchenerziehung auf, das für den gläubigen Sinn durch keine Enttäuschung verwischt werden kann. Tragen die Geschlechtsgenossinnen der Gottesmutter eine geheime Marienkrone auf der Stirn, so nehmen sie auch teil an ihrer Sendung dem Manne gegenüber.

Dritter Sinn: Im Manne muss Gott gegenüber das echt Weibliche, das Ewige im Weibe, das empfangende Hingegebensein entfaltet werden, sonst wird er von der Erlösungsgnade entweder gar nicht oder doch nicht wirksam genug berührt. Der alter Christus muss auch eine altera Maria [40] werden. Das gilt - richtig verstanden - besonders für den Priester, es gilt für ihn doppelt und dreifach, weil er als schöpferischer Stellvertreter der Mutter Kirche mit Paulus Geburtswehen leidet bis Christus in den Seelen wiedergeboren ist. Deswegen sagt Augustinus: audemus nos dicere matres Christi [41].

Der am 8. Dezember 1951 in Beuron zum Priester geweihte Nordamerikaner Dr. Max Jordan erklärt bei der Gelegenheit: „Primiz ist das ‚fiat’ zu Gottes Offenbarung. Das Geschöpf kann in der demütigen Haltung des Empfangens den Sinn seines Daseins erkennen. Nicht jeder kann Mönch werden, aber jeder muss versuchen, in demütiger Haltung zu erfahren und zu erlauschen, was Gott in den Seelen vollzieht. Der Mensch muss sich mühen um die Botschaft, um den Widerhall Gottes in sich.“ [42] Das ist die Sprache Mariens - auch in der Mannesseele.

Fortsetzung

[28] Rudolf Graber, Die Bedeutung Marias nach dem Heilsplane Gottes in der Gegenwart, (Hrsg. Rosenkranz-Sühnekreuzweg für den Frieden) Wien 1951, 24 Seiten.
[29] Gertrud von Le Fort; Die ewige Frau. 20. Auflage, München 1960, 22
[30] Hugo Rahner, Maria und die Kirche, Innsbruck 1951, 16
[31] Nikolaus Lenau (ursprünglicher Name: Nikolaus Franz Niembsch) 1802-1950. Aus Gedicht „Weihnacht“, in: Historisch-kritische Gesamtausgabe, Wien 2004, 29, Zeilen 537-548
[32]Julius Tyciak, Magd und Königin, Freiburg 1950, 52
[33] Cyrill von Alexandrien, Homilia contra Nestorium, zitiert in der Marienenzyklika Leo XIII. Adiutricem populi christiani, Art.10
[34] Paul Sträter (Hrsg.), Katholische Marienkunde. Bd. 3: Maria im Christenleben. Paderborn 1952, 53-60
[35] Confessiones. Zeugnisse einer Marienweihe, in Santificatio Nostra (Münster 1951) 173ff
[36] P. Kentenich bezieht sich in der Epistola perlonga auf die Aussage von Ivo Zeiger beim Mainzer Katholikentag 1948: „Deutschland ist Missionsland geworden“.
[37] Ludwig Maria Grignion von Montfort, Das Goldene Buch der vollkommenen Andacht zu Maria, Freiburg/Schweiz 1945, 46
[38] Bis hierher geht das Zitat von R. Graber, dem P. Kentenich bestätigend auf S. 21 oben das Wort gibt. Rudolf Graber, Die Bedeutung Marias nach dem Heilsplane Gottes in der Gegenwart, (Hrg. Rosenkranz- Sühnekreuzzug für den Frieden) Wien 1951, S. 9-13 mit Anmerkungen
[39] Der Mann wird nicht erlöst, ohne (es sei denn durch) die Frau . Quia ecce si vir cecidit per feminam, jam non erigitur nisi per feminam. Bernhard von Clairvaux, hom. 2, 3
[40] Der andere, zweite Christus; die andere, zweite Maria
[41] A. Augustinus, Sermo 72/A Wir wagen es, uns Mütter Christi zu nennen.
[42] Dr. Max Jordan, geb. 1895 in San Remo, Promotion 1917 in Jena. 1920 Redaktionsvertreter des Berliner Tagblattes in Washington. 1924 Konversion, 1931-1947 Europadirektor des amerikanischen Rundfunks. Danach Studium der Theologie in Beuron, Priesterweihe 1953 durch den Apostolischen Nuntius Erzbischof Muench in Beuron. 1956 feierliche Profess in Beuron als P. Placidus Jordan OSB. Das Zitat konnte nicht ermittelt werden.

Eingestellt von
OB
KM
Eingestellt am: 01.03.2014 11:43
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