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Haus Moriah Nachrichten Predigt 18.10.2010 EB Zollitsch

 

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch

Predigt

bei der Eucharistiefeier zum Gründungstag Schönstatts
18. Oktober 2010
Pilgerkirche Schönstatt

Lesung: 2 Tim 4,10-17bEv.: Lk 10,1-9

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Zollitsch EB

Liebe Teilnehmer der Oktoberwoche,
werte Pilgerinnen und Pilger, die Sie zur Feier des Gründungstages Schönstatts gekommen sind,
liebe Brüder und Schwestern in der Gemeinschaft des Glaubens.

In der Geschichte der Kirche und der Kultur gab es immer wieder Phasen, in denen der Ruf nach Reform oder nach Wiedergeburt – Renaissance – laut geworden ist. In diesem Wunsch ist die Sehn-sucht enthalten, zum Ursprung und zu den Quellen zurückzufinden und daraus starke Impulse für eine Erneuerung und Vitalisierung zu finden. Wir können zwar nicht aus der Geschichte herausspringen und in das erste christliche Jahrhundert zurückkehren. Das wäre Träumerei. Aber in uns allen lebt dennoch der unstillbare Wunsch nach einer ursprungstreuen, pfingstlichen Kirche, die den Geist Jesu und der Urkirche in sich trägt und in unsere moderne Welt hineinträgt.

Vor 50 Jahren wurde vom damaligen Heiligen Vater, Papst Johan-nes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil ausgerufen, das der Kir-che ein neues Pfingsten schenken sollte. Alle, die heute ihr Liebes-bündnis erneuern, tragen zusammen mit Pater Kentenich in sich die Überzeugung, dass vom kleinen Schönstatt-Heiligtum aus eine Welle der Erneuerung und ein neues Pfingsten für die Kirche aus-gehen sollen.

Wenige Tage vor seinem Tod hat unser Vater und Gründer in sei-nem Grußwort an den Essener Katholikentag, der 1968 auf dem Höhepunkt einer aufgewühlten und schwierigen Phase der Kirche stattfand, Worte des mutigen Vorwärtsdrängens gefunden, nicht Worte der ängstlichen Verzagtheit. „Mit Maria hoffnungsfreudig und siegesgewiss in die neueste Zeit!“ Diese Hoffnung schöpft aus dem Ursprung Schönstatts, aus dem historischen Geschehen des 18. Oktobers 1914. Aus dieser Quelle schöpft unsere Bewegung ihre Dynamik. In diesem Ursprung, den wir unentwegt festhalten, ist we-sentlich der Blick nach vorne enthalten. Im Grußwort schreibt unser Gründer: „Alle verflossenen Jahre hindurch war unser Blick auf das neueste Zeitenufer für Welt und Kirche gerichtet.“ Im Kontext der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren die Blickrichtung und Vorgehensweisen Schönstatts auf Erneuerung eingestellt, pro-gressiv und fast revolutionär. Nicht ohne Grund haben sich so manche in der vorkonziliaren Kirche daran gestoßen und das Neue unglaublich hart bekämpft. „Wir wissen“ – schreibt P. Kentenich 1968 – „dass wir ob dieser Einstellung lange von kirchlichen Kreisen, die sich unausgesetzt am alten Zeitenufer zu einseitig orientierten, nicht verstanden wurden.“

Auch wenn wir heute in einer anderen Situation leben, hat Schön-statt nicht die Blickrichtung geändert. Aus der Kraft des Bündnisses ersehnen wir nach wie vor die Kirche am neuen Ufer, tragen wir die Sehnsucht nach Reform und Vitalisierung, nach Belebung und Verlebendigung mit; es ist die Sehnsucht unserer Bündnisherrin Maria, die Pater Kentenich als „glänzende Reformatorin“ und als „Schlachtenleiterin im Kampf“ tituliert. Dieser Kampf ist nicht reaktionär rückwärts gerichtet. Ganz im Gegenteil; Schönstatt setzt sich entschieden für den Geist und die Erneuerung, das heißt für die Umsetzung des II. Vatikanischen Konzils ein. Das hat unser Gründer dem Heiligen Vater am 22. Dezember 1965 in die Hand versprochen. Das ist für uns Verpflichtung und Auftrag.

Das Versprechen gilt. Es wurde ergänzt durch die so genannte „promissio Patris“ an Bischof Joseph Höffner. Pater Kentenich sag-te ihm und damit allen Bischöfen zu, dass sich die Schönstattfamilie an die Seite der Bischöfe stellen und ihnen helfen werde, als Väter des Glaubens die Kirche zu führen. Heute am Bündnistag möchte ich die Schönstattfamilie bitten um eine tiefgreifende und effektive Solidarität mit dem Heiligen Vater und mit uns Bischöfen.

Auf der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz habe ich vor vier Wochen in Fulda meine Mitbrüder und die ganze deutsche Kirche eingeladen zu einem Gesprächsprozess über die Erneuerung und Verlebendigung unseres kirchlichen Lebens in Deutschland. Ich habe dort gesagt und wiederhole es hier: „Es geht um den Pilgerweg der Kirche in unserer heutigen Welt – konkret und in Orientierung am Leben der Menschen von heute. Es geht um mehr als bloß Reparaturen: Es geht um die Verlebendigung des kirchlichen Lebens.“ Ich rechne bei diesem Prozess auf die Schönstattfamilie – auf meine geistliche Familie – und bitte Sie um Ihr Mitgehen aus der Kraft des Liebesbündnisses. Ich bitte um Ihre Beiträge ins Gnadenkapital, damit der Gesprächsprozess ein gutes Miteinander im Heiligen Geist und ein gesegneter Weg wird. Ich bitte Pater Kentenich, mit seinem Charisma diesen Prozess zu begleiten.

Wenn demnächst die Akten Seligspechungsprozesses Pater Kenentichs von Trier nach Rom gebracht werden, dann möge das ein Symbol dafür sein, dass unser Gründer der Kirche sein Charis-ma und seine Familie in neuer Weise anbietet. Ich denke, dass es in Pater Kentenich brennt, vom Rande des kirchlichen Geschehens, an den ihn das Exil gedrängt hat, wieder mitten hinein ins Leben der heutigen Kirche zu kommen. Er will der Kirche, für die er alles gegeben hat, all das anbieten, was ihm Gott geschenkt hat. Er will durch uns, seine Familie, der Kirche selbstlos dienen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

Zum Abschluss des Priesterjahres wurde in Rom beim Heiligtum Matri Ecclesiae auf dem Hügel Belmonte eine Bronze-Statue auf-gestellt; es ist eine Kopie der Vaterstatue aus Milwaukee bzw. Waukesha. Wir Priester wollten mit dieser symbolischen Handlung festhalten, dass unser Vater aus Milwaukee nach Rom gekommen ist. Er brachte ein neues Autoritäts- und Gemeinschafsbild mit; in ihm lebte ein neues Kirchenbild. Im Weihnachtsbrief 1965 schrieb er im Blick auf die zurückliegende Exilszeit und ihre Frucht: „So le-ben wir miteinander in einem seelischen Mit-, In- und Füreinander, so dass wir erst jetzt richtig verstehen, wie der neue Mensch in der neuen Gemeinschaft aussieht. Wir ahnen wohl auch, dass wir damit einem Ideal uns nähern, nach dem die Kirche der Zukunft naturgemäß die Hand auszustrecken innerlich gedrängt wird und mit Recht auf sich den Lobspruch anwenden kann: Seht, wie sie einander lieben!“ Bei unserem Vater waren diese Worte gedeckt durch eine opferbereite Liebe zur Kirche. Heute müssen wir als seine Familie dafür sorgen, dass unsere Sehnsucht, im Raum der Kirche ein Motor der Liebe zu sein, genügend gefüllt ist und konkret wird.

In diesen Wochen wurde in Rom in einer großen Baugrube auf Belmonte das Fundament für das große Vater-Haus, das „Domus Padre Kentenich“ gegossen. Heiligtum und Haus wurden unserem Vater zum 80. Geburtstag (1965) von der ganzen Schönstattfamilie geschenkt bzw. versprochen. Da ich selbst viele Jahre die Verant-wortung für die Romkommission getragen habe, verstehen Sie be-stimmt meine Bitte an Sie alle, den Aufbau des Vater-Hauses in Rom engagiert und intensiv zu begleiten, geistlich und materiell. Im Heiligtum und im Haus sehen wir ein Symbol für den Vorgang, der jetzt im Zugehen auf das Gründungsjubiläum Schönstatts im Jahr 2014 ansteht. Schönstatt soll noch mehr Anschluss finden an die gegenwärtige Entwicklung der Kirche und sich (im Sinne des 3. und 4. Meilensteins unserer Schönstattgeschichte) in die Brennpunkte des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens einbringen.

Eine internationale Vorbereitungskonferenz hat den Weg zum gro-ßen Jubiläum 2014 skizziert. Es ist selbstverständlich, dass wir als Schönstattfamilie des Ursprungslandes diesen Weg mit ganzem Herzen mitgehen. Der Weg beginnt heute, darum sind wir bereits am Vorabend zum Urheiligtum gepilgert; er beginnt dort, wo die göttliche Vorsehung, die Schönstatt ins Leben gerufen hat, selbst begonnen hat: bei unserem Vater und Gründer. Bevor Schönstatt am 18. Oktober 1914 gleichsam zur Welt kam, war es herange-wachsen in der verborgenen Lebens- und Seelengeschichte des Kindes, des Jugendlichen und jungen Priesters Josef Kentenich.

Es ist gut, wenn wir uns als deutsche Schönstattfamilie dabei auf ein Herzstück dessen besinnen, was Pater Kentenich geleitet hat: die Hingabe an den Gott des Lebens; die Bereitschaft, sich bis in alle Einzelheiten von der göttlichen Vorsehung leiten zu lassen. So lädt uns gleich das erste Jahr der Vorbereitung ein, auf unseren Vater zu schauen, die persönliche Verbindung mit ihm zu vertiefen und in seine Schule des praktischen Vorsehungsglaubens zu ge-hen. Diese Einstellung hilft uns, das Wirken Gottes in unserem Le-ben, in unserer Familie, in der Kirche und in der Welt zu erspüren. Der Vorsehungsglaube will praktisch werden dadurch, dass wir auch konkrete Aufgaben entdecken und miteinander anpacken.

Ich lade ganz besonders die Jugendlichen und die junge Generati-on ein, uns bei dieser Spuren- und Wegsuche zu helfen. Wir brau-chen Euch! Schönstatt ist von jungen Menschen gegründet worden; junge Menschen spüren oft deutlicher, was der Anruf der Stunde ist. Es ist Zeit, dass die ältere Generation, die Schönstatt gegründet und aufgebaut hat, ihre Verantwortung nun in der Weise wahrnimmt, dass sie den Nachwachsenden die Türen öffnet, ihnen Vertrauen schenkt, Freiräume eröffnet. Das ist umso wichtiger, als die nachwachsende Generation zahlenmäßig noch nicht so stark ist. Die Liebe drängt uns, die Erwachsenen und Älteren, Verantwortung zu übergeben und uns hinter die Jungen zu stellen. Helfen wir der Gottesmutter, jugendliche Herzen zu finden, die sich von ihr zur Elite der Zukunft erziehen und formen lassen. Das ist eine Zukunftsfrage.

Die göttliche Vorsehung hat es so gefügt, dass der Gründungstag Schönstatts auf das Fest des hl. Evangelisten Lukas fällt. Wir hät-ten uns vielleicht gewünscht, dass unsere Familie an einem Marienfest entstanden sein möge. Wir wollen Gott aber nicht korrigieren. Ist die Tatsache, dass der Gründungstag auf das Fest eines Evangelisten fällt, nicht für alle Zeiten ein Impuls und eine Erinnerung, dass wir eine apostolische, eine evangelisierende Bewegung sind für die Zeit, in die uns Gott hinein gestellt hat?! Wir schauen auf diese, unsere Zeit mit der Sicht Jesu, der uns sagt: „Die Ernte ist groß!“ Wir vergessen allzu oft, dass dies keine Klage im Munde Jesu ist, sondern ein eschatologischer Jubelruf über die Chance, die darin liegt. Dieses Wort gibt uns eine befreiende Perspektive auch auf unsere kirchliche Situation. Es erinnert mich an die Aussage der Gründungsurkunde. „Jetzt habt ihr dazu die beste Gelegenheit.“ Damals war Krieg, also eigentlich eine denkbar ungünstige Zeit. Pater Kentenich sieht gerade in dieser Situation einen mächtigen Impuls, die beste Gelegenheit, neu zu beginnen.

Unser „jetzt“ sieht auf den ersten Blick auch aus wie eine denkbar ungünstige Zeit: abnehmende Zahlen der Kirchenbesucher, Austrit-te, Abbrüche der religiösen Traditionen, Auflösung des kirchlichen Milieus, Missbrauchsskandale, negative öffentliche Meinung. All das sind harte Fakten, die wir nicht verdrängen. Wenn wir sie aber mit dem Wort Jesu anschauen „die Ernte ist groß“, oder sie im Geist der Gründungsurkunde deuten, dann sehen wir, was Gott tun möchte: Jetzt ist die beste, die nächste Gelegenheit zur Gnade, zum Sieg des Vaters im Himmel: Er will die heutigen Menschen, die seine Kinder sind, in sein Haus einladen. Und dazu braucht er uns, dazu braucht er eine pilgernde, eine dienende, eine kontaktfreudige und kontaktfähige Kirche.

Ein wunderbares und sprechendes Symbol dafür ist die Strömung des Pilgerheiligtums. Auch wenn wir noch so einfache Menschen wären – kein Theologiestudium, keine Rhetorikausbildung, kein Propagandamaterial haben – wir können uns als Werkzeug persön-lich auf den Weg machen und zu den Menschen gehen. Wir brin-gen nicht uns selbst. Wir kommen zusammen mit Maria, die Jesus bringt. Das ist eine demütige Kirche, auf der aber der überreiche Segen Gottes liegt.

Meine liebe Schönstattfamilie, liebe Brüder und Schwestern im Glauben,

mit dem heutigen Bündnistag und seinem Vorabend treten wir in die unmittelbare Vorbereitung auf das große Jubiläum Schönstatts ein. Lasst uns mit großer Entschiedenheit und mit Zuversicht aufbrechen und diese Gnadenzeit für unsere Familie nützen. Das Liebesbündnis Schönstatts, das am 18. Oktober 1914 aus dem Herzen unseres Vaters hervorgetreten ist und sich mit dem Kapellchen verbunden hat, ist kein fertiges System, sondern eine lebendige Quelle, die zu einem mächtigen Strom werden will. Der Strom kommt aus dem Innersten des Dreifaltigen Gottes und aus dem Herzen der Gottesmutter Maria. Er kann aber nur fließen und mächtiger werden, wenn er durch unser Herz hindurchfließt und von unseren Beiträgen mit gespeist wird.

Helfen wir alle mit, dass in den Jahren der Vorbereitung auf das Ju-biläum 2014 viele Menschen das Liebesbündnis als ihren Weg ent-decken und die Sendung Schönstatts mittragen. Möge der heutige Tag bewirken, dass unsere Herzen neu Feuer fangen und wir uns die Grundinspiration unseres Vaters und Gründers zu Eigen ma-chen. So werden die verheißungsvollen Worte der Gründungsur-kunde die nächsten Jahre prägen, die uns Maria im Heiligtum zu-spricht: „Dann werde ich mich gerne unter Euch niederlassen und reichlich Gaben und Gnaden austeilen, dann will ich künftig von hier aus die jugendlichen Herzen an mich ziehen, sie erziehen zu brauchbaren Werkzeugen in meiner Hand.“

Amen.

 
 

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